Sales & Operations Planning (S&OP) und Integrated Business Planning (IBP) haben sich branchenübergreifend als vorbildliche Verfahren (‚Best Practices‘)  für den mittelfristigen Planungshorizont der Lieferketten etabliert.  Beide Ansätze weisen jedoch Schwächen in Bezug auf Effektivität, Effizienz, Aufwand und Abdeckung durch IT-Lösungen auf. Dieser Beitrag befasst sich mit der Notwendigkeit, die derzeitigen S&OP/IBP-Ansätze in einen tatsächlich informationsbasierten Managementprozess ohne zeitliche, organisatorische und technische Integrationsbarrieren zu überführen.

Bewährte Verfahren: Mittelfristige Planung mit S&OP/IBP

Zweifellos kann sich kein Unternehmen im Markt behaupten, ohne die künftige Entwicklung seines geschäftlichen und kommerziellen Umfelds zu antizipieren. Deshalb ist eine mittelfristige Planung mit einem Zeithorizont von etwa zwei bis fünf Jahren eine wichtige Voraussetzung, um rechtzeitig sowohl reaktive als auch proaktive Entscheidungen zur Steuerung der Unternehmensentwicklung und zur Erreichung der Unternehmensziele zu treffen.

In der Folge haben sich in den letzten zehn Jahren funktionsübergreifende IBP/S&OP-Planungszyklen als der am besten geeignete Ansatz zur Ableitung von Mittelfristplänen entwickelt: Je nach Geschäftsmodell und Unternehmensgröße bestehen die wöchentlich, monatlich oder vierteljährlich erstellten Planungszyklen in der Regel aus einer Abfolge von Planungs- und Entscheidungsschritten wie dem Produkt-Review, Demand-Review, und dem Supply-Review, gefolgt von einer internen Abstimmung und einem abschließenden Business-Review des Managements. Obwohl die Bezeichnung dieser Reviews unterschiedlich sein kann, handelt es sich sowohl bei S&OP als auch bei IBP um entscheidungsorientierte Prozesse, die Abweichungen zwischen prognostizierter und tatsächlicher Geschäftsperformance verhindern und alle betroffenen Unternehmensfunktionen einbeziehen. Letztendlich soll ein sogenannter One-Number-Plan zur Erreichung der Geschäftsziele erstellt und stetig angepasst werden.

Tatsächlich betreiben alle mir bekannten Unternehmen entweder eine Variante von S&OP/IBP oder planen die Einführung unternehmensspezifischer IBP-Prozesse. Es überrascht deshalb auch nicht, dass alle modernen IT-Lösungsanbieter entsprechende Anwendungen zur Verarbeitung der erforderlichen Planungs- und Prognosedaten anbieten.

Herausforderungen: Warum S&OP/IBP neu überdacht werden müssen

Die funktionsübergreifende zyklische integrierte Geschäftsplanung (IBP) bzw. Vertriebs- und Betriebsplanung (S&OP) ist mittlerweile ein Standardvorgehen für die mittelfristige Planung, da die wichtigsten Leistungsindikatoren, von der Prognosegenauigkeit über die Einhaltung des Produktionsplans bis hin zur OTIF-Kennzahl (On-Time, In-Full), für die meisten Geschäftsmodelle erheblich verbessert werden können. Trotz seines allgemeinen Erfolgs weisen dieser Planungsansatz und die unterstützenden fortschrittlichen Planungslösungen einige erhebliche Schwachstellen auf, die sich sowohl auf die täglichen Planungsvorgänge als auch auf die Prozess- und Lösungsimplementierung negativ auswirken:

Hoher Aufwand und hohe Kosten im Zusammenhang mit regelmäßigen IBP/S&OP-Planungsläufen

Der erste große Nachteil, dem viele Unternehmen begegnen, ist der hohe Planungsaufwand. Dieser verursacht nicht nur erhebliche Kosten, sondern bindet auch eine beträchtliche Anzahl von Planern bzw. Personalressourcen, was in Zeiten akuter Personalknappheit und des Konkurrierens um Talente umso kritischer erscheint.

Abbildung 1: IBP/S&OP-Zyklen verursachen einen hohen Planungsaufwand, was erhebliche Ressourcen aus zahlreichen Geschäftsfunktionen und -bereichen absorbiert: Viele Experten, Planer und Manager sind beteiligt, um die Regeltermine in allen Regionen und Ländern zu unterstützen, vorzubereiten und daran teilzunehmen.

Tatsächlich ist dieser Planungsaufwand zu einem großen Teil auf die Komplexität, den Informationsverlust und die künstliche Aufteilung des Planungskontinuums in verschiedene Planungshorizonte zurückzuführen. Gemeint sind kurzfristige/operative, mittelfristige/taktische und langfristige/strategische Zeitsegmente.

Komplexität und Aufwand aufgrund organisatorischer und geografischer Multiplikatoren

IBP/S&OP-Review-Zyklen scheinen zunächst einfach und leicht anwendbar. Bei vielen global operierenden Geschäftsmodellen werden die Review Meetings und die Nachfrage-, Supply- und Produktionsplanungsläufe jedoch auf lokaler, regionaler und globaler Ebene durchgeführt. Wenn ein Unternehmen außerdem unabhängig voneinander operierende Geschäftseinheiten betreibt, werden die verschiedenen Reviews häufig auf jede einzelne Einheit angewandt. Dies multipliziert die Abläufe im System und ist ein Haupttreiber für den hohen (regelmäßigen) Aufwand, den Unternehmen für zuverlässige Planungsergebnisse betreiben müssen.

Abbildung 2: Komplexität und Aufwand steigen erheblich durch die Notwendigkeit, die IBP/S&OP-Planungs- und -Review-Zyklen regelmäßig auf verschiedene geografische Ebenen und für verschiedene Geschäftseinheiten einzuhalten.

Informationsverlust durch unzureichende zeitliche Granularität

Ein erhebliches Risiko für Informationsverlust ergibt sich aus der Tatsache, dass die meisten IBP/S&OP-Planungsprozesse auf Daten aus zeitreihen-basierten Datenmodellen mit begrenzter zeitlicher Granularität basieren. Die gängige Argumentation für den intuitiven Gedanken “Wieviel verkaufe ich oder liefere ich in welchem Zeitintervall” ist, dass ein Datenmodell mit einem wöchentlichen oder, weit verbreitet, monatlichen Intervall (‚Bucket‘) ohnehin ausreichend ist, da Prognosen im mittelfristigen Horizont nicht präziser sein können. Dies ist aber möglicherweise nicht für den gesamten mittelfristigen Planungshorizont zutreffend.

Abbildung 3: Wie lässt sich der Informationsverlust durch IBP/S&OP-Planungsprozesse vermeiden, die sich auf Daten aus zeitreihen-basierten Datenmodelle mit begrenzter zeitlicher Granularität stützen? Setzen Sie auf einem Datenmodell mit optimaler (höchster) Granularität auf und planen Sie auf der entsprechend aggregierten Ebene, wie es für LTP, S&OP, S&OE und die operative Planung erforderlich ist.

Viele Unternehmen, die zum Beispiel einen Planungshorizont von 1 bis 5 Jahren zugrunde legen, müssen die rollierenden Prognosedaten für eine bestimmte Produkt-Kunden-Standort-Kombination im Laufe der Zeit auf einer detaillierteren Ebene anreichern. Während in der fernen Zukunft (z. B. in den vier bis fünf Jahren) eine monatliche Granularität ausreichend sein kann, werden in der näheren Zukunft Informationen auf wöchentlicher oder sogar täglicher Aktualität benötigt, um ein rechtzeitiges Management der Kapazitäten, der Beschaffung und des Angebots zu gewährleisten sowie Engpasssituationen zu entschärfen.

Wenn also eine niedrige Granularität, beispielsweise in Form von monatlichen Zeitabschnitten, für den gesamten mittelfristigen Horizont vorliegt, dann können die Informationen nicht mit der erforderlichen zeitlichen Genauigkeit im Plan abgebildet werden. Hier hat man manchmal das Gefühl, dass ein zeitreihen-basiertes Datenmodell ein Relikt aus Zeiten ist, in denen die Rechenleistung ein limitierendes Kriterium war, welches keine hohe Granularität und/oder die Anwendung eines auftragsbasierten* Ansatzes zuließ.

*Weitere Informationen zur auftrags- und zeitreihen-basierten Planung finden Sie in diesem Artikel: https://blog.camelot-group.com/2023/02/ibp-time-series-ibp-order-based-what-is-this/

Informationsverluste durch mangelnde Fähigkeit zur Verarbeitung unstrukturierter Informationen

Geschäftsinformationen basieren auch auf unstrukturierten Informationen wie Begründungen, Kommentare und Feedback zum Verständnis der Geschäfts- und Prognoseentwicklung – und sie beruhen damit leider nicht nur auf Daten, die in ein vordefiniertes Datenmodell passen. Diese unstrukturierten Informationen sind unerlässlich, um Risiken, Chancen, Annahmen und Gründe zu erfassen, und sie machen S&OP und IBP zu wirklich entscheidungsorientierten, lückenschließenden Prozessen. Sie können jedoch weder durch zeitreihen- noch durch auftragsbasierte Datenmodelle adäquat erfasst werden.

Beziehen sich unstrukturierte Informationen auf ein Zeitintervall (‚Bucket‘), dann können sie z. B. als Kommentar angehängt werden. Sobald diese Informationen jedoch Geschäftsereignisse und -entwicklungen auf einer aggregierten Ebene erklären sollen und deshalb aggregiert werden müssen, versagen die meisten Datenmodelle. Aus diesem Grund erfassen zahlreiche Unternehmen, die IBP oder S&OP betreiben, immer noch Informationen außerhalb ihrer ‚Advanced-Planning-Systeme‘ (APS). Hier kommen nicht selten und aus gutem Grund Power Point-, Word- oder Excel-Anwendungen zum Einsatz.

Abbildung 4: Die Erfassung, Verknüpfung und Aggregation unstrukturierter Informationen zu Prognose- und Planungsdaten entlang verschiedener Planungshorizonte und Organisationseinheiten geschieht nicht selten außerhalb der Advanced-Planning-Systeme (APS).
Abbildung 5: Wie lassen sich unstrukturierte Informationen erfassen, zuordnen und zu Prognose- und Planungsdaten entlang verschiedener geografischer und organisatorischer Einheiten aggregieren?

Mangelnde Planungskontinuität aufgrund unterschiedlicher Planungshorizonte

Die letzte IBP/S&OP-Schwäche betrifft den Planungshorizont selbst. Eine gängige Praxis in vielen Unternehmen betrifft die Strukturierung des gesamten Planungshorizonts in drei Abschnitte,

– einen langfristigen strategischen Horizont,

– einen mittelfristigen Horizont, der von S&OP/IBP abgedeckt wird, und

– einen kurzfristigen Horizont für Sales & Operations Execution (S&OE).

Alle drei Horizonte werden wie folgt strukturiert: Mit unterschiedlicher Granularität (von lang- nach kurzfristig zunehmend), unterschiedlicher Planungshäufigkeit (ebenfalls von lang- nach kurzfristig zunehmend) und unterschiedlichen funktionalen Zuständigkeiten: Die langfristige Planung fällt häufig in die Zuständigkeit der Finanzabteilung und/oder des Marketings, während die S&OE- und Supply-Planung meist in den Händen von Operations und/oder der Supply Chain liegt.

Die zeitliche Segmentierung des gesamten Planungshorizonts kann helfen, den Planungsaufwand und die Verantwortung der richtigen Abteilung zuzuordnen. Sie hebt jedoch die Planungskontinuität auf und erfordert einen erheblichen technischen und organisatorischen Aufwand, um den Informationsaustausch über alle Planungshorizonte hinweg zu gewährleisten sowie Lösungen zur Integration der Datenmodelle oder sogar ganzer Systeme zu finden, welche die Planungsdurchführung in den verschiedenen Horizonten unterstützen. Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, dass Horizonte nicht scharf voneinander getrennt werden können. Im Gegenteil, die Anreicherung und Optimierung des rollierenden (Einzahl-)Plans über die Zeit erfordert ein ununterbrochenes Planungskontinuum, das nicht nur durchgängig in Bezug auf die (physische) Supply Chain, sondern auch durchgängig in Bezug auf den (zeitlichen) Planungshorizont ist.

Abbildung 6: Gemeinsame Struktur der Unternehmensplanung über den gesamten Horizont: Wie lassen sich die Komplexität sowie der umfangreiche technische und organisatorische Integrationsbedarf aufgrund der (künstlichen) Unterscheidung zwischen Planungshorizonten mit unterschiedlicher Granularität und unterschiedlichen Datenmodellen (z.B. auftrags- und zeitreihenbasiert) reduzieren?

Empfehlung: Wege zur Überprüfung der bewährten Verfahren in der Operations- and Business-Planung

 

S&OP und IBP sind sicherlich etablierte Planungsansätze, die auf der bewährten, guten Praxis in verschiedenen Branchen basieren. Dennoch gibt es Raum für Verbesserungen sowohl bei der mittelfristigen Planung selbst als auch bei der Art und Weise, wie der gesamte geschäftliche und operative Planungshorizont strukturiert und gesteuert wird.

  1. Bewerten Sie den Gesamtaufwand des gerade laufenden oder bevorstehenden neuen mittelfristigen Planungsansatzes und optimieren Sie die Anzahl der (wirklich notwendigen) organisatorischen und geografischen Planungsebenen, die als Aufwandsmultiplikatoren der Review-Zyklen wirken.
  2. Hinterfragen Sie die bewährte Praxis, die Review-Zyklen regelmäßig und häufig durchzuführen. Um den Aufwand und die Personalbindung weiter zu minimieren, könnte beispielsweise geprüft werden, ob und inwieweit ausnahme- oder abweichungsbasierte Reviews regelmäßige S&OP/IBP-Meetings ersetzen könnten.
  3. Arbeiten Sie mit Ihrer IT-Abteilung, Ihrem Lösungsanbieter und, falls Sie die Einführung von IBP/S&OP planen, Ihrem Implementierungspartner darauf hin, eine ausreichend hohe Granularität über den gesamten Planungshorizont sicherzustellen, damit eine kontinuierliche Anreicherung des rollierenden Plans möglich ist. Fehlende System-Performance geht heutzutage nicht mehr als Entschuldigung durch.
  4. Stellen Sie sicher, dass unstrukturierte Managementinformationen über Risiken, Chancen, Gründe und Trends als wichtige Voraussetzung für einen entscheidungsorientierten Planungsprozess erfasst werden. Idealerweise werden sie vollständig integriert oder zumindest zuverlässig mit dem zugrunde liegenden Datenmodell des Vorausplanungssystems verknüpft.
  5. Überprüfen Sie, ob Ihre Anforderungen an die End-to-End-Geschäftsplanung wirklich verschiedene zeitliche Planungshorizonte (operativ, taktisch, strategisch) erfordern. S&OP und IBP decken hier nur den taktischen Horizont ab, so dass die kurzfristige Sales & Operations-Ausführung sowie die strategische Planung zusätzlich etabliert, ausgeführt und integriert werden müssen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass künftige Betriebs- und Geschäftsplanungsansätze und deren IT-Lösungsabdeckung auf einem zeitlichen Planungskontinuum beruhen sollten, das alle kurz-, mittel- und langfristigen Planungsanforderungen abdeckt. Sie werden daher auf einem Daten- und Prozessmodell beruhen, das Informationsverluste vermeidet und die Verarbeitung unstrukturierter Managementinformationen in allen Funktionen und über den gesamten Planungshorizont hinweg unterstützt.

Zusicherung: Dieses Papier basiert ausschließlich auf eigenen Erfahrungen und wurde ohne Unterstützung von KI-Tools wie ChatGPT erstellt.

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