Das Lieferkettengesetz hat für Unternehmen Priorität. Wer einen Schritt voraus plant, stellt fest: Es lohnt sich, jetzt schon Grundlagen für eine tiefergehende Integration von Nachhaltigkeitsprinzipien in der Lieferkette zu legen.

Spätestens mit dem Lieferkettengesetz ist in das Thema der Sozial- und Umweltverträglichkeit von Lieferketten Bewegung gekommen. Unternehmen müssen dieses Feld strategisch und proaktiv angehen: Einer robusten Implementierung von Risikomanagement- und Berichtspflichten im Lieferkettengesetz muss schnell eine tiefe Einbettung der Nachhaltigkeit in Lieferkettenprozesse sowie eine Unterstützung durch Technologie und Automatisierung folgen.

Die nachhaltige und sozialverträgliche Transformation von Lieferketten ist sowohl eine Notwendigkeit als auch eine massive Herausforderung für Unternehmen. Für die systematische Umsetzung bedarf es verschiedener Punkte: erhöhte Transparenz über die Herkunft von Produkten, Einbindung klarer Standards in Einkaufs- und Managementprozesse, ein aktives Risikomanagement zur Erkennung von potenziellen Pflicht-Verletzungen, und eine systematische Umsetzung von Präventions- und Abhilfe-Maßnahmen.

Das im Juni 2021 verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) geht einen Schritt in diese Richtung und beschreibt verbindlich die Sorgfaltspflichten deutscher Unternehmen im Hinblick auf die Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit von Ende-zu-Ende Lieferketten, „von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden“. Das Gesetz differenziert nicht zwischen Industrien oder Wertschöpfungsstufen und gilt somit für alle Unternehmen aus Handel, Dienstleistung und Produktion gleichermaßen (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Lieferkettengesetz

Lieferketten sozial- und umweltverträglich transformieren

Während ein Wert des LkSG darin liegt, Sorgfaltspflichten zur Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten gesetzlich festzuschreiben, ist dies doch nur ein erster Schritt in Richtung ganzheitlicher Nachhaltigkeit. Deswegen sollte bei den Vorbereitungen zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes die mittel- bis langfristige Perspektive der sozial- und umweltverträglichen Transformation von Lieferketten im Auge behalten werden. Denn auf den wichtigen Schritt eines verpflichtenden Risiko-Managements müssen weitere Schritte folgen, insbesondere die tiefe, automatisierte Einbettung von Menschenrechts- und Umweltaspekten in Einkaufsprozesse sowie die strukturelle Neuausrichtung von Lieferketten-Strategien.

Umsetzung des Lieferkettengesetzes als erster Schritt

Im Lieferkettengesetz wird der Umgang mit international anerkannten Verboten und Pflichten, arbeitsrelevanten Rechten innerhalb der UN-Menschenrechtscharta, und den Arbeitsrechten der Internationalen Arbeitsorganisation formalisiert. Im Ausland stattfindende Verstöße gegen diese Verbote und Pflichten werden in Deutschland einklagbar gemacht. Dem Schutz von Kindern wird dabei eine übergeordnete Bedeutung zugeschrieben, aber auch andere Arbeitsrechte werden im Gesetz aufgeführt.

Abb. 2: Das Lieferkettengesetz deckt einen Teil des gesamten ESG-Spektrums ab

Umweltverschmutzung ist insofern adressiert, als sie direkt zur Verletzung menschenrechtlicher Verbote und Pflichten führt. Auch Verstöße gegen multilaterale Übereinkommen zur Vermeidung von Umweltschäden mit Quecksilber, Chemikalien und Abfällen können nach dem LkSG bestraft werden.

Allerdings wurden relevante Bestandteile einer Triple-Bottom-Line (People, Planet, Profit) aus dem Gesetzestext ausgeklammert. So sind zwar einzelne Umweltschutz-Themen (Abb. 2) im Lieferkettengesetz formalisiert, zentrale Fragen wie der Klimaschutz werden jedoch nicht aufgegriffen. Bezüglich der Menschenrechte sind nur Pflichten erfasst, welche einen direkten Bezug zu Arbeit haben (Arbeitsrechte). Ausgeklammert sind jedoch generelle Menschenrechte und Ethik. Diese Dimensionen dürfen von Unternehmen auf Grund ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Relevanz nicht vernachlässigt werden.

Lieferkettengesetz: Neun Sorgfaltspflichten für Unternehmen

Als direkte Folge des neuen Gesetzes müssen betroffene Unternehmen neun Sorgfaltspflichten wahrnehmen (Abb. 3). Diese beginnen mit einer Grundsatzerklärung auf höchster Führungsebene bezüglich der Menschenrechtsstrategie des Unternehmens. Weiter wird ein Risikomanagement verlangt, für welches die Verantwortung an geeigneter Stelle in der Organisation festzulegen ist. Die Einrichtung des Risikomanagementsystems muss so vollzogen werden, dass menschenrechts- und umweltbezogene Risiken kontinuierlich überwacht und Verstöße verhindert oder beseitigt werden können. Dazu sind jährliche und anlassbezogene Risikoanalysen nötig. Erkannte Risiken müssen systematisch erfasst und in einer Risk-Map kategorisiert, bewertet und priorisiert werden. Das Gesetz fordert, dass die Risikoanalysen laufend dokumentiert und an relevante Entscheidungsträger kommuniziert werden, z.B. Einkauf oder Vorstand. Zusätzlich muss jährlich über erkannte Risiken, Verstöße und die getroffenen Maßnahmen öffentlich berichterstattet werden.

Präventionsmaßnahmen

Präventionsmaßnahmen müssen in den Prozessen der Lieferketten verankert werden. Beispielsweise können bei der Lieferantenauswahl unproblematische Regionen oder Industrien bevorzugt werden. Im Lieferantenqualifikationsprozess sollten Mindestanforderungen an Transparenz festgelegt, oder vertragliche Zusicherungen an Audits eingefordert werden. Intern sollten für alle Verträge das Vier-Augen-Prinzip und erweiterte Dokumentationspflichten durchgesetzt werden. Von Bedeutung sind auch Schulungen des Personals im Risikomanagement und zur Sensibilisierung auf ESG(Environmental, Social, Governance)-Problematiken.

Abb. 3: Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen zur Wahrnehmung konkreter Sorgfaltspflichten.

Zwischen dem eigenen Geschäftsbereich mit den mittelbaren Lieferanten (Tier 1), und den unmittelbaren Lieferanten (Tier 2-n) ist eine Abstufung vorgesehen. Erst wenn ein substantiierter Verdacht auf Verletzungen von Pflichten oder Verboten besteht (z.B. nachdem die Unternehmung von einer NGO über Einschränkungen der gewerkschaftlichen Organisation bei einem Rohstofflieferanten informiert wurde), muss bei Letzteren aktiv eine Risikonanalyse vollzogen und ein Maßnahmenkonzept erarbeitet werden. Zuvor ist eine passive Überwachung zureichend, d.h. die Kenntnis aller Tier 2-n Lieferanten und Screening öffentlich zugänglicher Daten und Berichte zur Identifikation relevanter Risiken reichen oft aus. Im eigenen Geschäftsbereich und bei Tier 1 Lieferanten muss dagegen eine permanente aktive Risikoüberwachung (d.h. datengestütztes Risk-Sensing und, je nach Priorität, Einfordern umfassender Dokumentation bis hin zur Durchführung von Remote- und Vor-Ort-Audits) stattfinden, Präventionsmaßnahmen ergriffen, und bei Verletzungen Abhilfemaßnahmen zeitnah und mit konkretem Zeitplan umgesetzt werden.

Ganzheitliche Perspektive der sozial- und umweltverträglichen Transformation von Lieferketten

Die gesetzeskonforme Wahrnehmung der Sorgfaltspflichten stellt Unternehmen vor große Herausforderungen, weil ein fortgeschrittenes Level an Transparenz und Kontrolle über die eigene Lieferkette vorausgesetzt wird. Um den entstehenden Aufwand an Datensammlung, Analyse und Management mit einem hohen Qualitätsanspruch gerecht zu werden, sollten Unternehmen sogleich den nächsten Entwicklungshorizont ins Auge fassen: die tiefe Integration von Nachhaltigkeit in Lieferkettenprozesse und die weitgehende, regelbasierte Automatisierung der Risikomanagements. Darauf aufbauend kann eine strukturelle Transformation der Geschäftsmodelle angestoßen werden. Entlang dieses Pfades findet eine Entwicklung von der reaktiven und manuellen Überwachung der ESG Risiken hin zu einer Integration von ESG in vorausschauende, proaktive und systemgestützte Entscheidungsfindung innerhalb zukunftsfähiger Lieferketten und Geschäftsmodelle.

Abb. 4: Auf die Umsetzung des Lieferkettengesetzes müssen weitere Schritte in der Transformation in Richtung sozialverträglicher und nachhaltiger Lieferketten folgen.

Digitalisierung und Automatisierung für strukturelle Verbesserungen

Für viele Unternehmen wird die Erfüllung der Sorgfaltspflichten kurzfristig nur mit manuellem Aufwand möglich sein. Um zu verhindern, dass rein reaktives Überwachen und Administration im Vordergrund steht und kaum Gestaltungsräume für strukturelle Verbesserung der Lieferketten wahrgenommen werden können, ist die effektive Digitalisierung und Automatisierung von Lieferketten-Mapping, Risk-Sensing und Datenanalysen eine Grundvoraussetzung. Die Stufe „AUSBAU“ (Abb.4) skizziert die Voraussetzungen, welche implementiert werden müssen, damit sich Manager auf vorausschauende Entscheidungsprozesse und die strategische Gestaltung der Lieferkette konzentrieren können. Dies beginnt mit der Definition von konkreten, auf das eigene Geschäftsmodel abgestimmten Anforderungen an Nachhaltigkeit. Das LkSG dient dafür als Ausgangspunkt und Minimalrahmen.

Nachhaltigkeitsanforderungen durchgehend integrieren

Die Integration der Nachhaltigkeitsanforderungen beginnt bei den Einkaufsstrategien, sowie in den nachfolgenden Prozessen der Lieferantenqualifizierung und -Entwicklung. Tiefgehende Verbesserungen werden in den heutigen, vernetzten Lieferketten in intensiver Zusammenarbeit und durch Entwicklung strategischer Lieferanten über KPI-Systeme erreicht. Wichtige Grundlage für nachhaltiges Management ist eine vollständige Modellierung und datengestützte Transparenz über die Ende-zu-Ende Lieferketten. Integrative Systeme ermöglichen den Aufbau von digitalen Lieferketten-Zwillingen oder ESG-Risikokarten.

Auch ein systemgestütztes Risikomanagement wird mit der Schaffung von Transparenz bei Tier 2-n Lieferanten irgendwann an seine Grenzen stoßen, sofern es nicht eng bzw. automatisiert mit externen Datenbanken zu Standards und Zertifizierungen der Lieferanten vernetzt ist. Dann empfiehlt es sich, auf die eigenen Anforderungen passende ESG-Labels oder Brancheninitiativen (z.B. Responsible Minerals Initiative, Sustainable Apparel Coallition, Better Buying) auszuwählen, die Lieferantenbeziehungen danach auszurichten, und die externen Lieferantendaten real-time in Einkaufsworkflows einzubinden. Zur Sicherstellung von funktionierenden Managementprozessen können anerkannte Standards von Lieferanten verlangt werden. Beispiele sind ISO 14001 für Umweltthemen, ISO 9001 für Qualitätsmanagement, ISO 20400 für nachhaltige Beschaffung, SA8000 für soziale Fragen oder OHSAS 18001 für Arbeitsschutz.

Gesellschaftlichen Wertbeitrag fördern

Das Lieferkettengesetz sollte als Anlass genommen werden, eine Vision zur strukturellen Transformation der Geschäftsmodelle zu definieren (Abb.4). Lieferketten-Strategien müssen ganzheitlich an den zunehmend von Politik und Gesellschaft gestellten Anforderungen der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Dabei bewegt sich der Fokus weg von der bloßen Befolgung von Verboten hin zu einem aktiven Fördern von gesellschaftlichem Wertbeitrag und Well-Being direkt und indirekt betroffener Anspruchsgruppen. Dem gesamten ESG-Spektrum (vergleiche Abb.2) ist Rechnung zu tragen und die Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit sind über 360 Grad zu analysieren.

Die grundlegenden und damit wirkungsvollsten Entscheidungen für Nachhaltigkeit werden mit dem Produktportfolio getroffen. Die Portfolio Strategie gilt es deshalb unter ESG Kriterien neu zu gestalten (z.B. indem Circular Economy Konzepte zur Ressourcen-Verbrauchsminimierung auf die Verkaufsmodelle angewandt werden). Daraus ergeben sich neue Hebel für das Design der Lieferkette und für die aktive Entwicklung von Lieferanten mit einer starken ESG Performance.

Lieferkettengesetz als erster Schritt

Priorität hat nun die Umsetzung des Lieferkettengesetzes. Es lohnt sich aber, mit einer gründlichen Herangehensweise die Grundlagen für weiterführende Entwicklungen zu legen, um Nachhaltigkeit tief in den Prozessen der Lieferkette zu integrieren. Unternehmen sollten Risikoanalysen zuerst dazu nutzen, besonders relevante Risikofelder für das eigene Geschäftsmodel zu identifizieren. So kann die Umsetzung und der Aufbau der benötigten Managementprozesse priorisiert werden.

Es kann erwartet werden, dass kommende Rahmenbedingungen und Gesetze, wie die im März 2021 angekündigte „EU DUE Diligence Legislation“, die Ansprüche an Unternehmen weiter konkretisieren und verschärfen werden. Eines ist also klar: in das Thema der Sozial- und Umweltverträglichkeit von Lieferketten ist Bewegung gekommen, und Unternehmen müssen dieses Feld strategisch und proaktiv angehen. Einer robusten Implementierung von Risikomanagement- und Berichtspflichten im Lieferkettengesetz muss schnell eine tiefe Einbettung der Nachhaltigkeit in Lieferkettenprozesse sowie eine Unterstützung durch Technologie und Automatisierung folgen. Der Zielfokus muss schrittweise erweitert (von Mindeststandards und Verboten in Richtung gesellschaftlicher Wertbeitrag und Well-being) und in transformative Geschäftsmodelle und Lieferkettenkonzepte übersetzt werden.

Vor welchen Herausforderungen steht Ihr Unternehmen im Hinblick auf nachhaltige Lieferketten? Geben Sie uns Feedback, wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen: Schreiben Sie Thomas Ebel.

Wir danken Sebastian Küng für seinen wertvollen Beitrag zu diesem Artikel.

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