Trotz aller Fortschritte im Risikomanagement müssen Unternehmen weiterhin auf existenzbedrohende vorbereitet sein. Vorfälle von existenzieller Tragweite werden dabei als Krisen eingestuft und erfordern außergewöhnliche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Geschäftsfähigkeit (Business Recovery) und Businesskontinuität. Bei schwerwiegenden Ereignissen ist ein funktionsübergreifendes Krisenmanagement die Last Line of Defense (letzte „Verteidigungslinie“), zu der eine umfassende Einbindung des Supply Chain Management-Teams gehört. In diesem Artikel werden die Notwendigkeit und die wichtigsten Maßnahmen beschrieben, um Lieferketten auf Krisensituationen vorzubereiten und aus der Krise zu führen.

Kollaboratives Krisenmanagement

Ereignisse mit negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage oder das operative Geschäft verursachen aus der Sicht so mancher Unternehmensfunktionen viel Arbeit, Ärger und Besorgnis, weshalb sie häufig bereits als Krise bezeichnet. Die meisten dieser Ereignisse sind jedoch eher als Vorfall oder als Notfall einzustufen: Denn interne Kontrollen einschließlich Korrektur- und Präventivmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs reichen aus, um Ereignisse dieser Kategorie zu bewältigen.

Abb 1 Vom Zwischenfall zur Krise der Lieferkette
Abb 1: Vom Zwischenfall zur Krise der Lieferkette

Im Gegensatz dazu bedrohen Ereignisse, die eine Krise auslösen, die Existenz des gesamten Unternehmens oder das Wohlergehen von Kunden, Mitarbeitenden oder anderen Personen. Ihr Management erfordert höchste Aufmerksamkeit und Sorgfalt, da bestehende Kontrollen und Verfahren die Auswirkungen nicht mehr abfedern können (siehe Abbildung 1). Aufgrund der weitreichenden Auswirkungen wird eine so definierte Krise in den meisten Fällen funktions- oder abteilungsübergreifend bewältigt.

Im Falle von Versorgungskrisen wird das Supply Chain Management (SCM) daher nicht allein handeln, sondern als ein wichtiger Akteur in den Gremien zum Krisenmanagement innerhalb des Unternehmens. So müssen schwerwiegende Versorgungsunterbrechungen aus verschiedenen Blickwinkeln gemanagt werden, unabhängig von der Ursache – sei es eine externe Rohstoffverknappung oder eine Störung der internen Produktionsabläufe. Alle Stufen und Teilnehmer der Wertschöpfungskette, einschließlich der wichtigsten Kunden, sind in einem sorgfältigen Krisen- und Recovery-Management zu berücksichtigen.

Produktversorgungskrise

Für eine Krise, die entweder durch das Produkt selbst, beispielsweise wegen Sicherheits- oder Qualitätsbedenken, oder durch eine unterbrochene Versorgung verursacht wird, sollte das Supply Chain Management stets eine hohe Krisenbereitschaft aufrechterhalten (siehe Abbildung 2). Die Bewältigung dieser Art von Krise erfordert maximales Engagement der Führungskräfte, da Lieferprozesse ausfallen und Abhilfemaßnahmen fehlen oder nicht ausreichen, um die Bedrohung für das Unternehmen wirksam in den Griff zu bekommen. Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe der SCM-Funktion, eine Krise zu erkennen, zu deklarieren, gegebenenfalls als Force Majeureund die sofortige Einberufung der Krisenmanagement-Gremien einzufordern. Abbildung 2 zeigt die Kategorien, in denen Lieferketten die Ursache einer Krise sein könnten. Hier nimmt das SCM eine Kernfunktion im gemeinsamen Krisenmanagement-Team ein, um die Geschäftskontinuität – und -wiederherstellung zu gewährleisten.

Abb 2 Kategorien von Krisen in der Lieferkette
Abb 2: Kategorien von Krisen in der Lieferkette

Das Krisenmanagement-System vorzubereiten bedeutet, Verfahren für die frühzeitige Erkennung und Meldung von Krisen sowie für die Bewältigung des Unerwarteten mit einem funktionsübergreifenden Team einzurichten.

Krisenmanagement-System für die Lieferkette: Jederzeit bereit sein

Das Krisenmanagement für die Supply Chain wird dabei auf einer mittel- bis langfristigen Basis eingerichtet. Etablierte Managementgremien, die sich bereits mit dem Risikomanagement befassen, sollten einbezogen werden, um den Aufwand für die Einarbeitung zu begrenzen und gleichzeitig die Einrichtung zu vieler Gremien oder Ausschüsse zu vermeiden. Je näher der Krisenstab am Bereich des Risikomanagements angesiedelt ist, desto besser gelingt die Einschätzung von Situationen, deren Auswirkungen nicht mehr durch Risikominderung vermieden werden können. Funktionsübergreifende, entscheidungsorientierte IBP- und S&OP-Review-Sitzungen wie das IBP Management Business Review (MBR) können ein idealer Ort der Zusammenarbeit sein. Sie können auch als Krisenmanagementgremium dienen, welches ein Krisenmanagement-Team (KMT) definiert, welches wiederum das Krisenmanagement-System (KMS) etabliert (siehe Abbildung 3).

Abb, 3: Definition des Krisenmanagement-Systems für die Lieferkette
Abb. 3: Definition des Krisenmanagement-Systems für die Lieferkette

Es liegt bei der Unternehmensleitung, vorzugsweise dem Vorstand, das KMT sowie die allgemeine Krisenorganisation festzulegen. Diese werden aktiv, sobald eine Krise erkannt und der Krisenfall ausgerufen worden ist. Die Krisenmanagement-Prozeduren in der Supply Chain, etwa für Produktrückrufe, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs, die Kommunikation mit Lieferanten und Kunden sowie für die Wiederherstellung der Betriebsabläufe (Recovery), sollten in enger Abstimmung mit dem KMT ausgearbeitet und von der Geschäftsleitung bestätigt werden. Am wichtigsten ist dabei, dass regelmäßige Schulungen und Simulationen durchgeführt werden, um die Verfahren und ihre Ausführung zu optimieren (Abbildung 4).

Abb. 4: Krisenvorsorge in der Lieferkette
Abb. 4: Krisenvorsorge in der Lieferkette

Bei Zwischenfällen im Kontext der Produktversorgung ist die Krisenerkennung eine ständige Aufgabe des Supply Chain Managements und der Betriebsführung. Die sorgfältige Überwachung interner und externer Parameter und Ereignisse ist dabei eine wichtige Voraussetzung für das rechtzeitige Erkennen einer Situation, in der z.B. risikomindernde Pufferbestände oder die Substitution von Produkten versagen. Damit lassen sich schwere Schäden für den Kunden und das eigene Unternehmen vermeiden. Befindet sich das Unternehmen in einem komplexen wirtschaftlichen Ökosystemen, dann ist der Einsatz KI-basierter Überwachung zu empfehlen – ein vielversprechender Ansatz zur Früherkennung unbekannter und unerwarteter Vorfälle. Und da viele Organisationen länger andauernde IT-Systemausfälle als wesentliche Krisenursache betrachten, sollten zudem zuverlässige, störungssichere Systeme und Verfahren für die Berichterstattung und Kommunikation entlang der Lieferketten installiert werden.

Als Mitglied des Krisenmanagement-Teams wird das SCM Aktionen und Gegenmaßnahmen während einer Produktversorgungskrise festlegen. Die jeweiligen Verfahren für das Krisenmanagement in der Lieferkette sollten eine ausreichende Autorisierung und Delegation auf funktionaler Ebene vorsehen, um eine schnelle Abstimmung und Entscheidungsfindung durch das KMT zu gewährleisten. Die Geschäftsleitung wird über das Krisenmanagementgremium kontinuierlich informiert und kann jederzeit kritische Entscheidungen bestätigen.

Ein wichtiges Element des Krisenmanagement-Systems, wenn nicht sogar das Wichtigste, ist die Kommunikation. Dies gilt auch für das Supply Chain Management: Kommunikation ist die erste und ständige Aufgabe während der gesamten Krise, um allen betroffenen internen Interessengruppen sowie allen externen Parteien, z.B. Kunden und Lieferanten, Orientierung zu geben. Insbesondere bei erheblichen Lieferunterbrechungen und/oder Bedrohungen der Produktqualität hilft eine faktenbasierte Kommunikation sowohl Kunden als auch Lieferanten, die Auswirkungen auf ihr Geschäft besser zu bewältigen und Reputationsverluste zu minimieren.

Eine faktenbasierte Kommunikation kann dabei nur so gut sein wie ein datengestütztes SCM-Reporting. Dabei sind Ausmaß und Dauer einer Versorgungsunterbrechung oder eines Produktrückrufs wesentliche Informationen für alle Kunden, um Versorgungsengpässe zu antizipieren und fehlende Rohstoffe, wenn möglich, rechtzeitig zu ersetzen. Außerdem braucht es eine kontinuierliche interne Kommunikation. Sie ist nicht nur Voraussetzung für einen abgestimmten, effizienten Weg aus der Krise, sondern auch für das Engagement und die Motivation der Mitarbeitenden.

Stärken Sie Ihr Krisenmanagement-System für die Lieferkette

Das Krisenmanagement in der Lieferkette ist eine wichtige Aufgabe für SCM-Führungskräfte. In vielen Unternehmen ist die SCM-Funktion deswegen in den entsprechenden Gremien hochrangig vertreten. Die folgenden Prüfpunkte können helfen, das SCM-Krisenmanagement zu stärken:

  • Steuerung: Prüfen Sie, ob das Krisenmanagement-Board, das Krisenmanagement-Team und alle betroffenen Einheiten und Mitarbeitenden den aktuellen Stand kennen und sich ihrer jeweiligen Rollen und Verantwortlichkeiten bewusst sind: Sowohl auf globaler Unternehmensebene als auch auf der Länder- und Regionalebene. Stellen Sie sicher, dass das SCM als zentrale Krisenmanagement-Funktion ausreichend im Krisenmanagement-System und seinen jeweiligen Gremien (Vorstände und Teams) vertreten ist.
  • Verfahren: Auch wenn eine Krise qua Definition nicht direkt vorhersehbar ist (in diesem Fall könnte das Risikomanagement sofort wirksam werden und Abhilfe schaffen), kann ein Krisenmanagement-System eingerichtet werden, in dem alle betroffenen Funktionen vertreten sind und schnell handlungsfähig werden. Dieses System wird durch Verfahren definiert, die unter anderem die Bereiche Governance, Kommunikation, Erkennung und Meldung von Zwischenfällen, Schulung, Business Continuity und Maßnahmen zur Wiederherstellung abdecken.
  • Erkennen: Je früher ein Krisenereignis erkannt wird, desto schneller können Management und Wiederherstellung einsetzen. Daher ist die Überwachung der internen und externen Liefer- und Betriebsindikatoren eine wichtige Voraussetzung für eine angemessene Reaktion, Entscheidungsfindung und Kommunikation während der gesamten Krise. Angesichts komplexer Geschäftsmodelle und Geschäftsumfelder kann eine KI-basierte Überwachung helfen, Vorfälle, Notfälle und Krisen frühzeitig zu erkennen.
  • Ausbildung: Das Krisenmanagement-System sollte möglichst einfach und leicht zu befolgen sein. Es sollte klare praktische Orientierungshilfen oder Anleitungen bieten, die gegen Unsicherheit und Verwirrung in Krisensituationen wirken. Die Konfrontation mit dem Unerwarteten in Krisensimulationen zu üben (einschließlich dem Umgang mit der Presse und den sozialen Medien) ist der beste Weg für eine optimale Vorbereitung.
  • Kommunikation: Die sorgfältige Kommunikation von Daten und Informationen für die interne und externe (Kunden, Lieferanten) Entscheidungsfindung ist eine der Kernaufgaben des SCM im Krisenmanagement. Dazu braucht es Fähigkeiten zur Szenario-basierten Planung und Berichterstattung sowie eine enge Zusammenarbeit mit Vertrieb und Marketing, die als Kommunikationspartner zum Kunden fungieren.

Die zunehmende durchgängige Prozessautomatisierung und -intelligenz wird die Steuerung der Lieferketten in Zukunft weiter verringern. Sobald jedoch Prozesse und Verfahren aufgrund von Notfällen und Krisen ausfallen, werden Supply Chain-Planung und Ausführung wieder in den Händen (und Köpfen) der SCM-Organisationen liegen. Da die Kontinuität des Geschäftsbetriebs immer oberste Priorität hat, werden sich SCM-Führungskräfte und -Organisationen noch stärker auf die Entwicklung und Pflege ihrer Krisen- und Risikomanagementsysteme konzentrieren.

Schlüsselelemente für das Krisenmanagement

Reife Organisationen mit einem gut etablierten Krisenmanagement-System fällt es im Allgemeinen leicht, alle SCM-bezogenen System-Komponenten, wie in Abbildung 4 skizziert, angemessen zu pflegen. Fehlt jedoch das Krisenmanagement-System oder wurden SCM und Betrieb nicht ausreichend in das bestehende System einbezogen, ist die Vorbereitung der entsprechenden Prozeduren, der Überwachung, der Berichterstattung sowie der organisatorischen und kommunikativen Bereitschaft zeitaufwendig und möglicherweise sogar unvollständig.

In diesem Fall entlastet der gezielte Einsatz von externer Beratung das SCM-Team und bringt nicht nur eine Outside-in-Perspektive ein, sondern auch Best-Practices-basierte Templates, Analysen und Beschleuniger. Zudem verkürzt der Einsatz zusätzlicher Ressourcen die Implementierung des Krisenmanagement-Systems und stellt die Vollständigkeit und Qualität aller SCM-Komponenten für das Krisenmanagement-System sicher (Abb. 5).

Abb 5: Schlüsselelemente des Krisenmanagements
Abb 5: Schlüsselelemente des Krisenmanagements

Liste der Abkürzungen

KMS                Krisenmanagement-System

KMT                Krisenmanagement-Team

SCM                Supply Chain Management

S&OP               Vertriebs- und Betriebsplanung

S&OE              Sales- und Ausführungsplanung

IBP                  Integrierte Unternehmensplanung

 

Dieser Beitrag basiert ausschließlich auf eigenen Erfahrungen und wurde ohne die Unterstützung von KI-Tools wie ChatGPT erstellt.

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