Lean Management wurde stark durch Toyota geprägt, deren Produktionsprinzip als Vorbild dient für eine Produktion, die Verschwendung dauerhaft eliminiert. Die Ergebnisse unserer Studie „Lean trifft Digital“ zeigen, dass Lean auch heute noch ein aktuelles und relevantes Thema für Fertigungsunternehmen ist. Trotz des Erfolgs kämpfte auch die Lean-Philosophie mit Schwierigkeiten, da sie auf langfristige Transformationen zielt. Etwa dieses: In vielen Unternehmen setzt oberhalb des Reifegrades 3 im Lean-Modell ein Grenznutzen ein, wie in meinem vorherigen Blog gezeigt. Ab einem durchschnittlichen Reifegrad von 3,5 bringen Maßnahmen weniger Verbesserungen als zuvor. Um die Unternehmensperformance weiter signifikant zu erhöhen, braucht es digitale Enabler.

Lean-Digital-Matrix

Welche Technologie und Ansätze hilfreich sein können, beantwortet die Lean-Digital-Matrix. Sie spannt sich entlang der beiden Dimensionen Komplexität und Volatilität auf:

Die Volatilität gibt an, wie oft es Veränderungen im Umfeld gibt.

Die Komplexität beschreibt die Beherrschbarkeit bei der Einführung oder im Arbeiten mit neuen Technologien und digitalen Enablern. Das zeigt sich häufig in der Komplexität der Anbindung bzw. der Schnittstellen zu angrenzenden bzw. externen Systemen, beispielsweise um Daten von Lieferanten und Partnern zu erheben und auszuwerten.

Auf die Frage, welche Technologien Einsparungen und damit einen höheren Lean-Reifegrad bringen, gibt die Matrix Aufschluss auf zwei Ebenen:

  1. Performance-Betrachtung: Die Matrix zeigt, welche digitalen Enabler den nächsten Sprung bei Performance-Verbesserungen bringen, wenn klassische Lean-Methoden wie 5S und Flussprinzipien für Prozesse auf dem Shopfloor bereits umgesetzt sind.
  2. Nutzen-/Invest-Betrachtung: Die Matrix gibt zudem Orientierung, wie viel Aufwand die Einführung eines digitalen Enablers verursacht, oder anders formuliert: Welchen Invest braucht es, um die Komplexität und Volatilität im Umfeld eines spezifischen Use Cases zu beherrschen. Je höher beides ist, desto höher kann der Nutzen sein – bei gleichzeitig mehr Aufwand, der ab einem gewissen Lean-Reifegrad in Kauf genommen werden muss. Dies gilt es konkret zu evaluieren.

Ich zeige an mehreren Beispielen, wie die Lean-Digital-Matrix Orientierung gibt:

KI als Enabler bei hoch volatilen und hoch komplexen Use Cases

In einem hoch volatilen und komplexen Umfeld braucht es ab einem gewissen Punkt komplexe Algorithmen, die aufgrund vieler Daten Veränderungen von externen Faktoren schnell erkennen. Damit lassen sich Handlungsvorschläge ableiten, etwa die Produktion bestimmter saisonaler Güter heraufzufahren oder zu drosseln.

So ist beispielsweise das Geschäft von Getränkeabfüllern stark wettergetrieben. Bei Temperaturanstiegen und längeren Hitzephasen wird deutlich mehr getrunken, ergo ist in warmen Sommern der Konsum von Softdrinks deutlich höher als in anderen Jahreszeiten oder bei kühleren Wetterlagen. Im Unterschied zu Mittelmeerländern sind diese Hitzeperioden in Deutschland nicht planbar. Für Getränkeabfüller ist es sinnvoll, über eine gewisse Grundproduktion hinaus nach Wettervorhersagen zu produzieren – und nicht einfach im Sommer 50 Prozent mehr. Dafür braucht es mittelfristige Wetterprognosen wie auch die Absatzzahlen der vergangenen Jahre in Relation gesetzt zu historischen Wetterdaten.

Performance-Betrachtung

Dieser Use Case ist hinreichend volatil – das Wetter ist eine nicht-beeinflussbare Komponente; gleichzeitig ist er hinreichend komplex, da Produktionsstraßen relativ kurzfristig umgerüstet werden müssen.

Nun sind Softdrinks noch ansatzweise haltbar. Trotzdem muss die Überproduktion im Sommer gelagert werden, was Lagerkosten und Verwaltungsaufwände verursacht. Bei kurzlebigeren Gütern lohnt sich die Investition noch schneller: So mussten Bierbrauer Anfang 2021 Unmengen Bier vernichten, das in den Covid-19-Lockdowns nicht von der Gastronomie abgerufen werden konnte. Mittlerweile haben viele Brauereien die Produktion gedrosselt. In einer idealen Welt gilt also: Je verderblicher die Lebensmittel hier sind, desto kurzfristiger muss die Produktion, von der Supply Chain bis zum Shopfloor umgestellt werden können.

Nutzen-/Invest-Betrachtung

Am Beispiel KI wird die zweite Ebene der Lean-Digital-Matrix deutlich: Nutzen und Invest sind höher, je komplexer und volatiler der Use Case.

Um Unternehmensprozesse detailliert mit KI-Methoden zu unterstützen, braucht es erst einen hohen Invest für die Einführung der Technologien, bei der Implementierung und laufend. Denn verfügbare Technologien sind noch nicht durchgängig Out-of-the-Box-fähig, leistungsfähige Implementierungen für einzelne Aufgaben müssen erst zu einer funktionierenden Lösung konfiguriert werden. Dieses Wissen ist derzeit noch weitgehend Expertenwissen, außerdem ist jede Lösung spezifisch auf den Use Case und die zur Verfügung stehenden Daten angepasst – daher der Aufwand.

Ein zweiter Aufwandstreiber: Machine Learning und KI setzen auf Big Data auf, ein Feld, dass schon etablierter ist, jedoch noch keine Commodity. Die Daten zu sammeln ist relativ schnell umsetzbar, Beachtung von Datenschutzgesetzen und ähnlichem vorausgesetzt. Sie so zu speichern und zu strukturieren (oder auch nicht), dass sie mit Algorithmen auswertbar sind, braucht wiederum Experten.

Capabilities für mehrere Use Cases aufbauen

Gelingt die Umstellung mit den digitalen Enablern, sinkt die Wahrscheinlichkeit von Fehlproduktionen signifikant. Zusätzlich werden die aufgebauten KI-Capabilities für weitere Use Cases eingesetzt, etwa um IoT-Use-Cases mit Daten der Produktionsstraßen zu realisieren – angefangen bei der Maschinensteuerung bis zur vorausschauenden Wartung.

Schauen wir auf Use Cases für einen weiteren digitalen Enabler

3D-Druck für Use Cases mit hoher Volatilität und niedriger Komplexität

In der Medizintechnik gibt es Anwendungsfälle, in denen genau ein Werkstück patienten-individuell produziert wird, etwa eine Prothese oder ein Teil eines Gelenk. Hier werden zunehmend 3D-Drucker eingesetzt, die automatisiert produzieren und damit die Kosten pro Werkstück deutlich senken.

In der Performance-Betrachtung zeigt sich das Umfeld des Use Case ausgesprochen volatil, da jedes Werkstück individuell erzeugt wird. Dafür bleibt die Komplexität im Umfeld gering: Der 3D-Drucker wird einmal installiert, die Risiken dabei sind beherrschbar. Da die Technologie vergleichsweise ausgereift ist, wird es hier nur in vertretbaren Abständen Produktneuerungen geben; auch die Vernetzungsaufwände für die Integration des 3D-Druckers ins Netzwerk ist überschaubar komplex.

Entsprechend fällt die Nutzen-/Invest-Betrachtung aus: Anschaffung und Betrieb sind mit überschaubarem Zeit- und Kostenaufwand stemmbar. In der konkreten Fertigung bleibt der Aufwand für die individuelle Anfertigung der Prothesen oder Werkstücke. Für das individuelle Implantat braucht es CT-Aufnahmen, ein computergestütztes Verfahren und ein Modell aus Kunststoff. Im weiteren Verlauf gibt es weniger Aufwand, konkret gibt es keine manuelle Anfertigung des Werkstücks – mit entsprechend niedrigeren Personalkosten. Die Kombination des digitalen Enablers 3D-Druck mit Augmented Reality (AR) eröffnet weiteres Potenzial, wie dieser Artikel bei Devicemed.de verdeutlicht.

In diesem Fall zeigt der Use Case aber auch, dass in der Arbeit mit Hilfe der Lean-Digital-Matrix neben den klassischen Hebeln Prozess, Organisation und Technologie weitere Einflussfaktoren eine besondere Bedeutung bekommen. Beispielweise wird ein Krankenhaus, das selbst einen 3D-Drucker einsetzt, zum Hersteller, inklusive Themen wie Produkthaftung etc. Ebenso spielt die EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) eine besondere Rolle. Diese Faktoren sind im Business Case zu berücksichtigen.

Mobile Endgeräte für Performance-Gewinne bei wenig volatilen und komplexen Use Cases

Die beiden bisher gezeigten Anwendungsfälle antworten auf eine hohe Volatilität und im ersten Fall auch eine hohe Komplexität. Fast immer lohnt es sich, zuerst die Use Cases mit geringer Komplexität und Volatilität abzuarbeiten. Bei einfacheren Anwendungsfälle in der Fertigung können beispielsweise mobile Endgeräte einen Performance-Gewinn bringen, etwa wenn Daten direkt vor Ort eingesehen, Label gescannt oder Qualitätsprüfungen durch mobilen Scanner unterstützt werden.

In der Performance-Betrachtung zahlen sich mobile Endgeräte schnell aus. Sie erweitern den klassischen Lean-Horizont, sind jedoch in Einführung und Betrieb bei einer niedrigeren Komplexität und geringerer Volatilität zu verorten: Für das Management der Geräte gibt es etablierte Lösungen, und auch wenn die Geräte sich schnell entwickeln, sind kurzfristig keine großen Innovationssprünge zu erwarten (Volatilität). Die zu erwartenden Risiken bei der Einführung und im Betrieb sind beherrschbar und ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist niedriger als beispielsweise bei einem IoT-Projekt.

Auch die Nutzen-/Invest-Betrachtung fällt günstig aus: Es gibt schon verschiedenste Geräte für den Einsatz in Fertigungsstraßen oder im Lager. Die Kosten für Einführung und Betrieb sind als Einmalanschaffungen, Lizenzkosten und Wartung sowie Schulungsaufwände gut kalkulierbar.

Mit niedriger Komplexität und Volatilität starten

Die letzten Beispiele zeigen: Es ist sinnvoll, die Use Cases mit niedriger Volatilität und Komplexität digital zu unterstützen, bevor man die aufwändigen digitalen Enabler einführt. Alles andere hieße, einen Wasserkopf aufzubauen: Denn letztlich fußen KI-Technologien für die Fertigung auf anderen digitalen Enablern, neben Big Data beispielsweise auf Digital Shopfloor Management und IoT-Szenarien. Erst mit diesen Daten lassen sich weitergehende Use Cases wie Predictive Maintenance realisieren – dazu mehr in einem der nächsten Blog-Artikel

Studie Lean trifft Digital

Wie kann der nächste Produktivitätssprung in einem geschäftlichen Umfeld gelingen, das von einer nie dagewesenen Komplexität und Volatilität geprägt ist? Unsere Studie zeigt den aktuellen Stand von LEAN in deutsche Fertigungsunternehmen und entwickelt ein Modell für die zusammenführung von Lean Methoden mit Digitalisierungsbestrebungen.

Hier geht es zur Studie

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