Die digitale Transformation der Supply Chain ist bereits in vollem Gange, und es zeigen sich bereits einige initiale Erfolge. Doch noch sind die verfügbaren digitalen Technologien weit davon entfernt, in großem Maßstab eingesetzt zu werden. Dadurch liegt in Supply Chains ungenutztes Wertschöpfungspotenzial. Um den vollen Nutzen einer digitalen Supply Chain auszuschöpfen, sollten Unternehmen über die Implementierung neuer Data Lakes und KI-Technologien hinaus einen End-to-End-Ansatz verfolgen und ihre Prozesse, Betriebsmodelle, Rollen, Kompetenzprofile sowie die IT- und Daten-Ziellandschaft systematisch umgestalten.

In den vergangenen fünf bis zehn Jahren hat sich in der Supply-Chain-Digitalisierung branchenübergreifend viel bewegt, ausgelöst durch eine Reihe von Entwicklungssprüngen: Innovationen bei Grundlagentechnologien (Entwicklung von Massenparallelrechnern, Verfügbarkeit erschwinglicher cloudbasierter Plattformen bei Hyperscalern) haben Machine Learning (ML) und Analytics vorangetrieben und zu bemerkenswerten Fortschritten wie denen von DeepMind AlphaZero im Jahr 2017 geführt [1]. Schritt für Schritt wurden Planungs- und ERP-Systeme in Richtung von Echtzeitverarbeitung und Datennutzung optimiert. Mit digitalen Zwillingen ihrer Netzwerke oder Lieferketten können Unternehmen komplexe Supply-Chain-Strategien simulieren und optimieren. Diese Beispiele sind allerdings erst der Beginn der digitalen Revolution. Allein im Jahr 2019 haben KI-Firmen rund 40 Milliarden US-Dollar an globalen Investitionen erhalten, angeführt von Unternehmen in den USA, China und Israel [2].

Viel Luft bei der digitalen Transformation

Der Startschuss für digitale Supply-Chain-Innovationen hat zu Verbesserungen in vier Kernbereichen geführt:

Verschiedene Anwendungen zur Steigerung der Supply-Chain-Visibilität (z. B. Echtzeit-Dashboards zur Überwachung der operativen Performance bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Anlagen und Produktionslinien) und neue Management-Workflows ermöglichen schnelle und datengestützte Entscheidungen. Neben den erzielten Transparenzverbesserungen konnten Unternehmen transaktionsbasierte Supply-Chain-Prozesse wie das Kundenauftragsmanagement und den operativen Einkauf durch Prozessautomatisierung und RPA deutlich optimieren.

Nach diesem ersten Schritt betten intelligente Automatisierungslösungen mittlerweile KI-Algorithmen in RPA ein und ermöglichen eine Teilautomatisierung von Entscheidungsprozessen wie etwa Ausnahmemanagement, Allokation und sogar S&OP (RPA 2.0/Hyperautomation)[3].

Parallel dazu haben viele Unternehmen Analytics- und ML-Lösungen für die wichtigsten Supply-Chain- und Entscheidungsprozesse integriert. Beispiele hierfür sind Tools zur Prognoseerstellung und neuerdings auch zur End-to-End-Parametrisierung, intelligente Warnmeldungen sowie eine automatisierte Ursachenanalyse, z. B. bei Auftragsrückständen und Verzögerungen.

Diese Fortschritte deuten bereits an, wohin die Reise gehen soll: zur autonomen Entscheidungsfindung in einer selbststeuernden Supply Chain. Mit wahrscheinlichkeitsbasierter Planung und Folgensimulationen im digitalen Netzwerk-Klon können Maschinen zunehmend taktische und operative Entscheidungen abwägen und alternative Optionen automatisiert auswählen. Der Supply-Chain-Planer wird bei Ausnahmen und Unklarheiten benachrichtigt.

Abbildung 1: Die digitale Supply Chain ist gestartet, doch es bleibt noch viel Wertschöpfungspotenzial 

Erste Schritte zu einer digitalen Supply Chain sind damit gemacht, mit ersten Erfolgen. Und doch wurde bisher nur ein Bruchteil des Wertschöpfungspotenzials gehoben. Weitergehende Möglichkeiten sind zum Beispiel die Erweiterung bestehender Ansätze und Weiterentwicklungen im Bereich der überwachten automatisierten Entscheidungsfindung.

Der nachfolgende Abschnitt skizziert die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Supply-Chain-Betriebsmodell.

Digitale Transformation: Veränderungen für das Supply-Chain-Betriebsmodell

Unsere Supply-Chain-Digitalisierungsprojekte aus verschiedenen Branchen zeigen eine Wertsteigerung durch Digitalisierung, wenn physische Prozesse (etwa Fertigung und Logistik) optimiert werden und der Informationsfluss in den Bereichen Datenmanagement, End-to-End- Supply-Chain-Planung sowie strategischer und operativer Einkauf verbessert wird. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Einsatzbereiche und Anwendungsfälle.

Hier handelt es sich nicht um isolierte Anwendungsfälle. Vielmehr transformieren Digitalisierung und Analytics das Supply-Chain-Betriebsmodell Schritt für Schritt. Das führt zu fünf zentralen Paradigmenwechseln:

  • Von der Reaktion zur Antizipation: Echtzeit-Transparenz und proaktives Erkennen von Problemen und Abweichungen ermöglichen schnelle und vorausschauende Maßnahmen einschließlich einer systematischen, faktenbasierten Abwägung alternativer Abhilfestrategien im Gegensatz zur reaktiven Problemlösung.
  • Von der Schnittstelle zur nahtlosen Integration: Nicht nur die Kommunikation zwischen Maschinen verändert sich, sondern auch die zwischen Maschine und Mensch. Beispiele sind Chatbots und Systeme zur Unterstützung der Entscheidungsfindung in der Planung und Datenpflege. Diese nahtlose Integration erfordert eine stärkere Fokussierung der Supply-Chain-Planer auf die Bereitstellung zusätzlicher Informationen (z. B. Marktkenntnisse) sowie auf systematische Abwägungen und Entscheidungen.
  • Von bloßer Verwaltung zu kreativer Wertschöpfung: Die Digitalisierung und Automatisierung administrativer Aufgaben wie Auftragsabwicklung und Datenpflege setzen Zeit und Ressourcen für kreative, wertschöpfende Aktivitäten frei, z. B. für funktionsübergreifende Abstimmung, ständige Verbesserung und die Optimierung der End-to-End-Planung.
  • Von Ermessens- zu datengestützten Entscheidungen: Intelligente Systeme nutzen ML für deskriptive, prädiktive und präskriptive Performance-Analysen in Echtzeit. So ermöglichen sie eine datengestützte Entscheidungsfindung auf der Grundlage von Regeln und Algorithmen – mit direktem Feedback zur Wirkung der Maßnahmen an die ausführenden Systeme.
  • Von der Punktplanung zur wahrscheinlichkeitsbasierten Planung: Neue, wahrscheinlichkeitsbasierte Planungsansätze bewirken eine Abkehr von der Punktplanung (z. B. Einzelprognosen für bestimmte SKUs/Monate/Standorte). Stattdessen generiert die wahrscheinlichkeitsbasierte Planung eine Vielzahl von alternativen Plänen mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten. Das wiederum ermöglicht eine echte Synchronisierung entlang der gesamten Lieferkette, bei der das Entscheidungsszenario mit dem höchsten Wert ausgewählt wird. Die jeweiligen Auswirkungen auf alle Elemente der Supply Chain werden so berücksichtigt und gegeneinander abgewogen. Diese grundlegende Veränderung ebnet den Weg für selbststeuernde Supply Chains, die lediglich fokussiert vom Planer überwacht werden.

Abbildung 2: Die wichtigsten Anwendungsfälle für digitale Lösungen und Analytics entlang der Wertschöpfungskette 

Im folgenden Beitrag: Hohe Ziele: Digitalisierung der End-to-End-Supply-Chain-Planung sehen wir uns an, wie grundlegend Digitalisierung und Analytik die End-to-End-Supply-Chain-Planung verändern und neue Möglichkeiten für Unternehmen schaffen.

Welchen Ansatz verfolgen Sie bei der Digitalisierung Ihrer Supply Chain? Wir freuen uns auf Ihr Feedback und Ihre Anregungen!

 

[1] AlphaZero: Shedding new light on chess, shogi, and Go”, David Silver et. Al, December 6, 2018, https://deepmind.com/blog/article/alphazero-shedding-new-light-grand-games-chess-shogi-and-go ( visited February 11, 2021)

[2] “What investment trends reveal about the global AI landscape”, Zachary Arnold, September 29, 2020, https://www.brookings.edu/techstream/what-investment-trends-reveal-about-the-global-ai-landscape/ (visited February 11, 2021)

[3] Robotic process automation i: A path of hyperautomation”, Henrik Baumeier et. Al, January 15, 2021, https://blog.camelot-group.com/2021/01/robotic-process-automation-i-a-path-of-hyperautomation/ (visited February 11, 2021)

Wir möchten Sebastian Hild für seinen wertvollen Beitrag zu diesem Artikel danken.

Das Rennen um die Wertschöpfung: Auf dem Weg zur digitalen Supply Chain

Um den Nutzen einer digitalen Supply Chain voll auszuschöpfen, ist in den meisten Unternehmen noch einiges zu tun. In unserem Thought Paper erfahren Sie, wie Sie die digitale Transformation der Supply Chain voranbringen können.

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