Die 3D-Druck-Technologie setzt sich in immer mehr Anwendungen gegenüber herkömmlichen Produktionsverfahren durch. Für die chemische Industrie bedeutet das Geschäft mit dem 3D-Druck vielversprechende Chancen. Aber nur, wenn die Voraussetzungen stimmen.

Nachdem die Hypephase abgeklungen ist, ersetzt 3D Druck im Business-to-Business-Umfeld zunehmend Applikationen aus herkömmlichen Fertigungsverfahren (zum Beispiel Spritzguss oder subtraktiv). Insbesondere bei der Prototypenfertigung und in der Ersatzteilfertigung gewinnt 3D Druck an Bedeutung. Zwar ist das derzeitige Marktvolumen für Materiallieferanten noch vergleichsweise unbedeutend (~1 Milliarde Euro), es bewegt sich aber auf einem Niveau, das für viele Unternehmen zumindest eine Bedrohung einiger Geschäftszweige darstellen kann. In diesem Artikel beschreibe ich, wie vor allem die Chemiebranche ihre Geschäftsmodelle anpassen kann, um die Vorteile von 3D-Druck zu nutzen.

Beim 3D-Druck wird mit Hilfe eines digitalen Modells des Endprodukts schichtweise (generativ) ein Produkt gebildet – üblicherweise aus Kunststoff oder Metall. Auf diese Weise lassen sich sogar sehr komplexe Gegenstände in einem Schritt mit minimalem Abfall produzieren und optimieren. So ergeben sich spannende Möglichkeiten: hochindividuelle Produkte, Produktion in klein- bis mittelgroßen Serien, Rapid Prototyping zur Reduktion der Produkteinführungszeit und noch viel mehr. Mit etwas Nachdenken beginnt man die schiere Bandbreite an potenziellen Anwendungen zu verstehen, und damit auch die potentielle Bedeutung von 3D-Druck.

3D-Druck-Technologien haben allerdings einen signifikanten Nachteil im Vergleich zu aktuellen Fertigungstechnologien: Aufgrund längerer Zykluszeiten und einer geringeren technologischen Reife sind die Stückkosten von identischen Teilen in der Regel höher. 3D-Druck wird sich daher nur dann durchsetzen, wenn bei der Produktion durch die neuen Möglichkeiten etwa in Bezug auf Geometrie geringere Systemkosten in der Wertschöpfungskette entstehen und gegebenenfalls Schritte der Wertschöpfungskette eliminiert werden können.

Bei immer mehr Anwendungen wird der Systemkostenvorteil Realität. Aufgrund neuer Märkte, verbesserten 3D-Druck-Technologien und der Erfahrungskurve der Industrie entstehen schnell neue Anwendungen. Große Unternehmen in der Wertschöpfungskette, wie GE, HP, MAN oder Daimler – um nur einige zu nennen –, investieren in 3D-Druck-Technologien.

Diesen Trend spüren die Chemieunternehmen bereits. Nachgelagerte Unternehmen denken und arbeiten auf neuen Wegen, die vielfältige Anwendungsfälle für 3D-Druck hervorbringen. Dies wiederum macht neue Geschäftsmodelle, Prozessorganisationen und betriebliche Verbesserungen erforderlich – auch von den Materiallieferanten.

Studie

In aktuellen Interviews mit CAMELOT bestätigten Tobias Caspari, Leiter von Heraeus Additive Manufacturing, und Dr. Erik Reuther, New Business Development bei Clariant SE, diese Entwicklungen. Tobias Caspari deutete an, dass der Druck von nachgelagerten Unternehmen oft mit der Produktionsdezentralisierung der Kunden verbunden ist. Aus diesem Grund sollten Materiallieferanten hinterfragen, ob ihr derzeitiges Operating Model in der Lage ist die zukünftigen Anforderungen zu bedienen, oder ein separates aufgebaut werden sollte. Dr. Erik Reuther diskutierte die Auswirkung von 3D-Druck auf die vertikale Integration. Seiner Beobachtung nach wird die Wertschöpfungskette unweigerlich gekürzt werden und etwa kunststoff- und metallverarbeitende Unternehmen an Bedeutung in der Wertschöpfungskette verlieren.

Beide Experten sind realistisch: Die Chancen für Marktwachstum auf Basis von 3D-Druck sind bisher nicht genau zu bestimmen, erklärten sie. Also sollte die Technologie aktuell vor allem als eine zusätzliche Geschäftsmöglichkeit betrachtet werden.

Auf Basis der Erkenntnisse aus den Experteninterviews initiierte CAMELOT eine Studie, um den zukünftigen Einfluss von 3D-Druck zu bewerten und Empfehlungen für die Änderung von Geschäftsmodellen zu geben. Dazu wurden 220 Experten aus der gesamten Wertschöpfungskette befragt.

Die Studienergebnisse zeigen insgesamt eine mangelnde strategische Vorbereitung von vielen Chemieunternehmen. Zunächst wurden die Teilnehmer über die Auswirkung von 3D-Druck auf die strategischen Bereiche Produktportfolio, Geschäftsmodell, Wettbewerbsfähigkeit, Preisbildung und Innovation befragt. Der Anteil der Befragten, die dem 3D-Druck einen großen Einfluss auf einen dieser Bereiche bescheinigten, war bei Chemieunternehmen kleiner als in anderen Branchen. Nur 33 bis 45 Prozent nahmen an, dass 3D-Druck einen großen Einfluss auf zukünftige strategische Entscheidungen haben wird.

Die Studie fragte auch nach potenziellen Auswirkungen auf den Betrieb – insbesondere auf Produktion, Beschaffung, IT, Lieferketten-Management, Logistik und Ersatzteilgeschäft. Alarmierende 42 Prozent der Befragten aus der Chemiebranche sahen nur einen geringen Einfluss des 3D-Drucks auf diese Bereiche.

Unsere Schlussfolgerung war klar und deutlich: Ohne ein grundsätzliches Umdenken werden viele Chemieunternehmen Probleme haben, den Bedarf der Kunden zu befriedigen.

Aus diesen Erkenntnissen hat CAMELOT drei Szenarien für die Entwicklung von 3D-Druck sowie die daraus folgenden relevanten strategischen Optionen für Chemieunternehmen abgeleitet und beurteilt.

Szenario 1: Ersatzteile und Prototypen

Dieses Szenario ermöglicht den Grundstofflieferanten nur ein begrenztes Marktwachstum und eine geringe Skalierbarkeit. Einige wenige spezialisierte klein- und mittelständische Unternehmen werden die Gewinner sein. Erhebliche Anstrengungen in Forschung und Entwicklung werden sich voraussichtlich nicht auszahlen. Schlanke Geschäftsmodelle mit der Einbindung externer Distributoren und eines hauseigenen Vertriebskanals sollten bevorzugt werden.

Szenario 2: 3D-Druck-Fabriken

Neben der Anwendung in Ersatzteilen und Prototypen, setzt sich 3D Druck in der Produktion von kleinen und mittelgroßen Serien in einigen Nischenmärkten durch. In diesem Fall sollten chemische Unternehmen ein separates Geschäftsmodell und Unternehmensstrukturen einschließlich eines Vertriebskanals etablieren, um ihre bestehende Marktposition zu schützen. Auch die eigene Entwicklung neuer Formulierungen sollte geprüft werden. Es gilt jedoch: Sorgen Sie für schlanke Strukturen.

Szenario 3: Disruption der Wertschöpfungskette:

Viele Marktsegmente nutzen 3D-Druck als bevorzugte Fertigungsmethode für Ersatzteile, Prototypen und kleine bis mittelgroße Serienproduktion. 3D-Druck bedeutet eine Disruption der Wertschöpfungskette. Viele Weiterverarbeiter verlieren einen signifikanten Teil ihres Geschäfts, während neue Unternehmen, insbesondere Datenmanager hervortreten. Für diesen Fall sollten Sie einen Sweet Spot in der Wertschöpfungskette suchen und ein maßgeschneidertes Geschäftsmodell entwickeln. Bedenken Sie sowohl die vertikale Integration als auch Kollaborationen. Zum Beispiel hat die Entwicklung neuer Materialien, wie etwa Polymere, verkaufssteigerndes Potenzial. Die Distributionsströme werden kleinteiliger, was Veränderungen in Logistik und Supply Chain mit sich ziehen kann.

Fazit

Zusammenfassend sind dies meine Empfehlungen für Unternehmen, die an den Vorteilen von 3D-Druck interessiert sind:

  • Konzentrieren Sie sich auf Anwendungen, die einen Mehrwert bedeuten und den größten Einfluss auf die Kundenbranchen haben.
  • Seien Sie offen für neue Möglichkeiten sowohl beim Service als auch bei der Technologie.
  • Ziehen Sie Kollaborationen als Möglichkeit in Betracht, mit kleinen Marktvolumen umzugehen.
  • Schaffen Sie separate Unternehmensstrukturen für 3D-Druck.
  • Bewerten Sie Ihr Liefernetzwerk in Bezug auf Liefergrößen und Kundendezentralisierung neu.

Wir danken Dr. David Elvers  für seinen Beitrag zu diesem Artikel.

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