Was benötigen produzierende Unternehmen, um Digitale Zwillinge in ihrer Supply Chain umsetzen zu können? Und welche Fallstricke gibt es bei der Einführung?
In dieser dreiteiligen Blogserie befassen wir uns mit dem Einsatz von Digitalen Zwillingen in der Supply Chain produzierender Unternehmen. Die Grundlage dafür ist eine von den Autoren durchgeführte Befragung von ausgewählten Industrieunternehmen. Im ersten Teil der Serie haben wir anhand der Umfrageergebnisse gezeigt, wie die Unternehmen Digitale Zwillinge hinsichtlich Relevanz, Potenzialen und Zielen bewerten. Dieser Artikel stellt die notwendigen technischen Grundlagen für den Einsatz von Digitalen Zwillingen vor und beschreibt die Hürden, die die Teilnehmer der Befragung während der Konzeptionierung und Implementierung erlebt haben.
Die technologische Grundlage für Digitale Zwillinge
Ein Digitaler Zwilling ist ein technologisches Konzept, das seine vollen Stärken ausspielt, wenn wesentliche Technologien vorhanden sind:
- Cloud Computing – Dezentrale Datenspeicherung und -auswertung
- Big Data – Aggregation von Massendaten und Datenströmen
- Robotik – Einsatz nicht-menschlicher Arbeitskraft
- Künstliche Intelligenz – Erkennen, Auswerten und Interpretieren von unbekannten Szenarien
- Sensorik (Internet-of-Things – IoT) – Echtzeiterfassung von Zuständen und Lokationen
Jede dieser Technologien ist für sich betrachtet ein eigenständiges Projektfeld. Unternehmen benötigen einen gewissen Reifegrad in jeder Disziplin, wenn sie Digitale Zwillinge realisieren wollen. Dabei gilt es, nicht zu einem Technologieunternehmen zu avancieren, sondern genau den Reifegrad für die eigene Organisation zu finden, der für den Einsatzzweck Digitaler Zwillinge notwendig ist.
Die Befragungsergebnisse zeigen vier Bereiche, in denen Unternehmen mit Umsetzungshürden kämpfen:
- IT-Architektur und -Management
- Organisation
- Prozessmanagement und -integration
- Finanzbezogene Hürden
Hürden bei IT-Architektur und -Management
Als wesentliche IT-bezogene Hürde (23%) sehen Unternehmen die fehlende beziehungsweise unzureichende Grundlage bei den notwendigen Technologien. Die befragten Unternehmen haben aus ihrer Sicht noch nicht den notwendigen Reifegrad im Bereich Künstlicher Intelligenz, Big Data und anderen Technologien erreicht.
Den zweiten Platz (15%) belegen diverse Herausforderungen, wie der Umgang mit sogenannter „Legacy“-IT-Architektur, z.B. SAP ECC-Systemen, die aus dem Stand nicht immer moderne Technologien unterstützen. Eine verbesserungswürdige Stammdatenqualität als Klassiker unter den allgemeinen Transformationsherausforderungen findet sich hier ebenfalls wieder. Die Unternehmen beschäftigten sich auch mit der Fragestellung, wie mit unterschiedlichen Datenquellen umzugehen ist, die in einer komplexeren IT-Architektur entstehen und zusammengeführt werden müssen, um den Digitalen Zwilling zu versorgen. Welche Simulationsmethodik letztlich am besten zum Unternehmen passt, bereitet ebenfalls Kopfzerbrechen.
Eine Herausforderung, die wir in Projekten regelmäßig beobachten, wird von den befragten Unternehmen verhältnismäßig selten genannt (Andere 8%): ausprobieren statt planen. Statt bis ins kleinste Detail über ein Konzept zu diskutieren, ist die Lernkurve steiler, wenn zeitnah ein erster Prototyp entwickelt wird. Dies ist ratsam, um das abstrakte Konstrukt Digitaler Zwilling für Stakeholder erfahrbarer zu gestalten.
Organisatorische Hürden
Als organisatorische Hürden wird von den befragten Unternehmen insbesondere das Fehlen von Data-Science-Experten genannt (33%). Sie sind diejenigen, die technologische Grundlagen im eigenen Hause aufbauen, betreiben und weiterentwickeln. Die Unternehmen bestätigen hier die Schwierigkeit, qualifiziertes Personal im Data-Science-Bereich aufzubauen. Hierbei stellt sich die Frage, ob ein Unternehmen selbst diese Kompetenzen aufbauen muss oder ob diese auch extern und dann bedarfsgerecht zu beschaffen sind. Das Thema „Make-or-Buy“-Entscheidungen wird Teil des dritten Beitrags dieser Blogserie sein.
Der Digitale Zwilling setzt stark auf Automation. Während das Prozessgeschehen bei manuellen Ausführungen stets transparent ist, ist das bei einem Automaten mit automatisch und schnell ablaufenden Prozessschritten nicht immer direkt der Fall. Dadurch können Vorbehalte gegenüber automatisierten Prozessen entstehen. In der Befragung der Unternehmen nimmt diese Sorge die zweite Stelle ein (22%), ergänzt um die Notwendigkeit, die Belegschaft bei solchen Projekten proaktiv einzubinden und zu informieren (11%).
Hürden bei Prozessmanagement und -integration
Die Befragung ergab, dass ein Digitaler Zwilling in allen Fällen die Prozessbereiche „Produktion“, „Logistik“ und „Forschung & Entwicklung“ betrifft. Zudem gibt es häufig eine direkte Einbindung in die Beschaffung, eine Einbindung des Vertriebs ist eher selten zu beobachten.
Die Unternehmen sehen dabei die Herausforderung, den Digitalen Zwilling in die bestehenden Prozesse zu integrieren und die Prozessschnittstellen hin zu anderen, internen Prozessbereichen zu gestalten (29%). Das gilt insbesondere dann, wenn externe Partner, z.B. für die Beschaffung, einzubinden sind. Darüber hinaus reicht eine Prozessschnittstelle gegebenenfalls nicht mehr aus, um die Möglichkeiten des Digitalen Zwillings auszunutzen. Eventuell muss dazu der Prozess selbst verändert werden.
Mit der gleichen Häufigkeit (29% aller Nennungen) werden individuelle Umsetzungshürden genannt, die sich zu zwei Punkten zusammenfassen lassen. So wird es als schwierig empfunden, die richtigen Annahmen aus den ausgewerteten Daten zu schlussfolgern und das Ergebnis in den Prozessablauf zu überführen. Als zweiten Aspekt hoben die befragten Unternehmen hervor, dass zunächst Prozessdokumentationen zu erstellen waren, um die eigenen Prozesse und die relevanten Prozessschnittstellen besser zu verstehen. Wie ein Unternehmen explizit bestätigte, lassen sich allerdings allein durch diese Vorarbeit bereits erste Verbesserungspotenziale identifizieren.
Finanzbezogene Hürden
Sehr deutlich sind die Antworten bei der Frage, welchen monetären Mehrwert der Digitale Zwilling nach dem Go-Live generiert. 50% aller befragten Unternehmen berichten von Schwierigkeiten bei der Ausweisung des Return on Investment (ROI). Das ist auch mit dem hohen Integrationsgrad des Digitalen Zwillings zu begründen. Viele Technologien werden genutzt, mehrere Prozessbereiche miteinander integriert. Für viele Unternehmen bedeutet das einen neuen Reifegrad, der mangels Vorerfahrung schwer für einen ROI zu bewerten ist.
Ergänzt durch die Unsicherheit bezüglich der notwendigen Investitionssumme (25%) entsteht so eine wesentliche Realisierungshürde, die dazu führen kann, dass auf strategischer Ebene die benötigten Budgets nicht oder nur zögerlich freigegeben werden.
Fazit und Ausblick
Unsere Befragung zeigt, dass Unternehmen verschiedenartige Hürden bei der Umsetzung eines Digitalen Zwillings überwinden müssen. Neben der technologischen Reife und IT-Architektur sind Auswirkungen auf das Prozessmanagement, fehlende Data-Science-Kompetenzen, eine unzureichende Veränderungsbereitschaft der Organisation sowie ein ungewisser finanzieller Aufwand und ROI-Herausforderungen, die Unternehmen bewältigen müssen, um Digitale Zwillinge in einen Wettbewerbsvorteil für sich zu verwandeln.
Im dritten Teil der Blogserie betrachten wir, wie die beschriebenen Hürden angegangen und beseitigt werden können, und zeigen, welche „Make-or-Buy“-Tendenz zum Digitalen Zwilling in den Unternehmen besteht.