Einerseits haben produzierende Unternehmen hohe Erwartungen an einen Digitalen Zwilling der Supply Chain, andererseits stehen sie vor Umsetzungshürden. Wie kann die Einführung gelingen? 

Im vorausgegangenen Teil 2 unserer Blogserie zu Digitalen Zwillingen in der Supply Chain produzierender Unternehmen haben wir zwei beispielhafte Anwendungsfälle erläutert und die Herausforderungen beschrieben, denen Unternehmen bei der Umsetzung von Digitalen Zwillingen begegnen. Doch wie lässt sich ein Digitaler Zwilling in der Praxis einführen? In diesem dritten und letzten Beitrag der Serie skizzieren wir, was es bei der Umsetzung zu beachten gilt und wie sich Fallstricke vermeiden lassen. 

In drei Schritten zum Digitalen Zwilling 

Die Artikelserie beruht auf einer Befragung ausgewählter Industrieunternehmen. Bei der Frage nach den Herausforderungen bei der Umsetzung von Digitalen Zwillingen nannten die Teilnehmer Realisierungshürden in den Kategorien IT-Architektur, Prozessmanagement, Organisation und Finanzen (siehe Artikel 2). Mit welchem Ansatz gelingt die Umsetzung dennoch?  

Der Ansatz gliedert sich in drei Schritte:  

  • Zieldefinition und Konzeption
  • Fit-Gap-Analyse 
  • Entwicklungsplan und Business Case 

Schritt 1 – Zieldefinition & Konzeption 

Im ersten Schritt gilt es, ein verbindliches und konkretes Verständnis zum zukünftigen Digitalen Zwilling im Unternehmen sicherzustellen. Die oberste Zieldefinition ist dabei der zu erfüllende Nutzen. In erster Linie werden hierzu individuelle Herausforderungen des Unternehmens aufgenommen, zusammengefasst und mit den technischen Möglichkeiten eines Digitalen Zwillings abgeglichen. Ein Ziel ist es sagen zu können bei welchen Herausforderungen der Digitale Zwilling tatsächlich zu einer Verbesserung führen kann. Die Beantwortung der Frage setzt voraus, dass man mit der Grundfunktion des Digitalen Zwillings bereits vertraut ist.  

Um eine bessere Verzahnung mit strategischen Unternehmenszielen zu gewährleisten, kann zu dieser Zieldefinition auf taktischer Ebene bereits die strategische Organisationsebene einbezogen werden. Für die Zielfindung können die im vorherigen Artikel aufgezeigten Potenziale und Ziele als Referenz dienen. Das Ergebnis ist eine Zielvereinbarung, die den Nutzen beschreibt, den der digitale Zwilling erzielen soll. 

Die Zielvereinbarung ist die Grundlage für das zu erstellende Zielbild eines Digitalen Zwillings. Das Zielbild zeigt auf, wie der Digitale Zwilling in der Ablauf- und Aufbauorganisation integriert sein soll. Es beantwortet unter anderem folgende Fragen:  

  • Welche Prozessbereiche (z.B. Produktion, Logistik, Beschaffung, usw.) sind zu integrieren?  
  • Wie intensiv ist die Integration?  
  • Wie sind externe Partner einzubinden?  

Aus dem finalisierten Konzept lassen sich Implementierungsanforderungen ableiten. Sie betreffen Punkte wie die konkrete IT-Architektur, Prozessveränderungen oder Veränderungen bei Verantwortungsbereichen. Sind diese Fragen unter Einbezug der betroffenen Ansprechpartner beantwortet, ergibt sich ein Soll-Bild. 

Schritt 2 – „Fit-Gap“-Analyse 

Das erstellte Soll-Bild wird anschließend mit dem Ist-Zustand des Unternehmens abgeglichen. Das Ist-Bild sollte die drei Bereiche „Prozesse“, „IT-Architektur“ und „Organisation“ beinhalten. Ratsam ist es, nicht alle Bestandteile dieser Bereiche zu untersuchen im Sinne einer umfassenden Restrukturierung, sondern sich konkret auf die Anforderungen für einen Digitalen Zwilling zu fokussieren.  

Beispielsweise sollten bei der Untersuchung der Ist-IT-Architektur die technologischen Grundanforderungen eines Digitalen Zwillings (siehe Artikel 2 der Serie) mit den Gegebenheiten im Unternehmen abgeglichen werden, sprich es muss geprüft werden, wie weit das Unternehmen in den Bereichen künstliche Intelligenz oder Big Data ist. Für den Bereich „IT“ sind daneben auch Themen wie die Stammdatenqualität und die Vielfalt von Applikationen und Schnittstellen relevant.  

Für den Bereich „Prozesse“ ist es interessant, den Prozessreifegrad beziehungsweise den Automationsgrad herauszustellen, um zum Beispiel Echtzeitverarbeitungsanforderungen umsetzen zu können. Auf organisatorischer Ebene kann geprüft werden, an welchen Stellen qualifiziertes Personal fehlt, beziehungsweise ob Verantwortungsbereiche in Zukunft anders zu schneiden sind, um Informationsflüsse und die Entscheidungsfindung zu beschleunigen. 

Am Ende der Ist-Aufnahme entsteht ein Überblick, welche Lücken zwischen den Anforderungen für einen Digitalen Zwilling und vorhandenen Fähigkeiten des Unternehmens bestehen.  

Schritt 3 – Entwicklungsplan & Business Case 

Mit den nun bekannten Lücken kann ein Entwicklungsplan erstellt werden, um die Lücken zu schließen. Der Umsetzungsaufwand für die Maßnahmen im Entwicklungsplan ist idealerweise bereits geschätzt und gewichtet. Denkbar ist es, den Entwicklungsplan phasenweise aufzubauen, um in bestimmten Abständen ein neues Reifegradplateau zu erreichen. Diese einzelnen Plateaus bereiten die Umsetzung eines Digitalen Zwillings vor. Sie haben aber gleichzeitig bereits positive Nebeneffekte auf das Unternehmen, etwa ein besseres Prozessverständnis und erste Harmonisierung in der IT-Landschaft. 

50% der von uns befragten Unternehmen geben an, dass es ihnen schwerfällt, die finanziellen und zeitlichen Aufwände für die Realisierung eines Digitalen Zwillings zu bewerten. Die durchgeführte Fit-Gap-Prüfung und der quantifizierte Entwicklungsplan liefern die Antwort auf die Frage, wie lange es dauert und in welcher Spanne sich die finale Investitionssumme bewegt.  

Mit dem definierten Zielbild kann eine fundierte Schätzung erfolgen, welche quantifizierbaren Mehrwerte sich mit dem Digitalen Zwilling ergeben. Daraus lässt sich wiederum ein Business Case zum Digitalen Zwilling erstellen.  

Selbst machen oder beschaffen? 

Der Aufbau eines Digitalen Zwillings kann eine wesentliche Investition in mehrere Bereiche eines Unternehmens bedeuten. Daher ist die Frage, ob ein Unternehmen einen Digitalen Zwilling selbst aufbauen sollte oder sich die Simulationsleistung einkauft, absolut legitim.  

In unserer anonymen Unternehmensbefragung haben wir daher auch folgende Frage gestellt: „Denken Sie, dass Digitale Zwillinge langfristig unternehmenseigene Konstrukte sind oder deren Leistung eingekauft wird?“.  

Wie Abbildung 1 zeigt, geben Zweidrittel aller befragten Unternehmen an, einen Digitalen Zwilling selbst aufzubauen. Ein Drittel kann es sich vorstellen, die Simulationsleistung von Anbietern Digitaler Zwillinge zu beschaffen.

Teil 3 Make or Buy-Tendenz
Abbildung 1: “Make-or-Buy”-Tendenz

Fazit    

Wie wir gesehen haben, ist es möglich die Herausforderungen bei der Umsetzung eines Digitalen Zwillings mit einer zielgerichteten Herangehensweise zu meistern. Natürlich kann der hier skizzierte Ansatz in der Kürze nicht den vollen Umfang eines solchen Projekts wiedergeben. Er vermittelt dennoch einen Eindruck, wie ein Lösungsweg aussehen kann.  

Unternehmen sollten bei einem solchen Vorhaben grundsätzlich drei Erfolgsfaktoren beachten: 

  • Zusammenbringen der strategischen mit der taktisch-operativen Ebene für interne Transparenz 
  • Ehrliche Bestandsaufnahme der unternehmenseigenen Fähigkeiten zu notwendigen Technologie- und Prozessreifegraden und strategische Ausrichtung für eine Make-or-Buy-Tendenz 
  • Klare Formulierung des Nutzens und zeitnahe Entwicklung eines einfachen Prototyps für ein „Look-and-Feel“ auf allen Hierarchieebenen, wie der Nutzen generiert wird 

In den drei Artikeln dieser Blogserie haben wir beleuchtet, wie Unternehmen die Potenziale und Ziele eines Digitalen Zwillings bewerten, welche Realisierungshürden sie sehen, wie ein möglicher Projektansatz zur Implementierung aussehen kann und welche „Make-or-Buy“-Tendenzen es gibt. Wir hoffen, Ihnen auf diese Weise einige Denkanstöße für Ihre eigene Unternehmenspraxis mitgegeben zu haben. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf, wenn Sie an weiteren Details der Befragung oder Erfahrungen aus der Praxis interessiert sind. 

Das Rennen um die Wertschöpfung: Auf dem Weg zur digitalen Supply Chain

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