Die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten Digitaler Zwillinge wurden schon oft dargestellt. Doch wie lassen sich Digitale Zwillinge umsetzen? Welche Fallstricke gibt es? Wie bewerten Industrieunternehmen Digitale Zwillinge in der Praxis und in welchen Anwendungsgebieten kommen Sie tatsächlich zum Einsatz? Eine Befragung unter Vertretern ausgewählter Industrieunternehmen zeigt, wie das Themenfeld „Digitaler Zwilling“ in der Praxis deutscher produzierender Unternehmen aussieht. In einer dreiteiligen Artikelserie stellen wir die wichtigsten Ergebnisse vor. 

Was ist ein digitaler Zwilling? 

Die Diskussion zum Digitalen Zwilling kennt zahlreiche und durchaus unterschiedliche Definitionen. Wir beziehen uns in dieser Artikelserie auf folgende Definition:   

Der Digitalen Zwilling ist eine multidimensionale Simulation eines real existierenden Objekts oder Geschäftsprozesses, die in festgelegten Abständen mit direkt am Objekt bzw. Geschäftsprozess erhobenen Daten versorgt wird, um so optimale Handlungsempfehlungen in einem vorgegebenen Rahmen zu generieren.   

Mit diesem Verständnis stellt sich als nächstes die Frage, welche Rolle im Unternehmen eine Konzeptionierung und spätere Realisierung eines Digitalen Zwillings vorantreibt. Denkbar sind dafür Rollen auf der strategischen, taktischen oder gar operativen Ebene. Aufgrund der engen Verzahnung des Digitalen Zwillings mit der Ablauforganisation inkl. IT-Management finden Diskussionen zu Konzept und Realisierung unserer Erfahrung nach idealerweise auf taktischer und teilweise sogar auf operativer Ebene statt, da hier die Personen zu finden sind, die Aussagen zum Prozess- und Organisationsmodell sowie zur IT-Architektur machen können. Dennoch ist das frühzeitige Einbeziehen der strategischen Ebene, das bedeutet des obersten Managements und des Vorstands, immens wichtig. Es zahlt sich erfahrungsgemäß spätestens im Übergang von der Konzeption zur Realisierung aus.  

Welche Potenziale, Ziele und Relevanz sehen Unternehmen im Digitalen Zwilling  

Für diese Blogserie haben wir Unternehmen befragt, welche Ziele, Potenziale, Relevanz, Realisierungshürden und Make-or-Buy-Tendenz sie bei Digitalen Zwillingen in der Supply Chain sehen. Die befragten Unternehmen sind in der industriellen Fertigung tätig und gehören verschiedenen Industrien an, von der Konsumgüter- und Medizintechnik- bis zur Automobilindustrie. In diesem Artikel geben wir Einblick in die identifizierten Potenziale, die Ziele sowie die Relevanzbewertung durch die Unternehmen.  

Potenziale und Ziele 

Teil 1 Potenzialcluster für Digitale Zwillinge
Abbildung 1: Potenzialcluster für Digitale Zwillinge

Die Befragungsteilnehmer konnten aus verschiedenen Potenzialen auswählen und diese mit „sehr niedrig“ bis „sehr hoch“ bewerten (siehe Abbildung 1) Mit 33% aller Nennungen nannten die befragten Unternehmen am häufigsten das Potenzial „Planungsprozesse verbessern“, gefolgt von der Prozessdurchlaufzeitoptimierung (27%) und der Betriebskostenreduktion (18%). 

Teil 1 Übersicht Potenzial- und Zielcluster
Abbildung 2: Übersicht Potenzial- und Zielcluster 

Erwartungsgemäß finden sich die hervorgehobenen Potenziale auch in den definierten Zielen der Unternehmen wieder. Als primäres Ziel wird die Verbesserung der Fähigkeiten in Planung & Transparenz genannt, darauf fallen 60% aller Nennungen. Nur sekundär soll ein Digitaler Zwilling dazu beitragen, die Prozessdurchlaufzeiten zu optimieren (20%) oder Betriebskosten zu reduzieren (13%).  

Die teilnehmenden Unternehmen reagieren demnach auf die anhaltende global-dynamische Marktsituation und Fragilität ihrer Supply Chains mit Überlegungen, welche Wettbewerbsvorteile ein Digitaler Zwilling konkret bringen kann. Dabei steht insbesondere die Frage im Vordergrund, ob bisherige Lösungen für Supply-Chain-Planung und -Entscheidungsunterstützung den Marktanforderungen überhaupt noch gerecht werden.  

Uns überraschte, dass das Schaffen einer Plattform für digitale Geschäftsmodelle kein einziges Mal als Ziel genannt wurde. Denn gerade mit dem datenfokussierten Ansatz eines Digitalen Zwillings gibt es durchaus spannende Optionen für digitale (Zusatz-)Geschäftsmodelle, z.B. das des Data Brokers. 

Einschätzung der Relevanz 

Die Frage nach der Relevanz des Themas „Digitaler Zwilling“ zeigt einen klaren Trend: 60% der Umfrageteilnehmer stufen Digitale Zwillinge als hoch-relevant für die Zukunft des eigenen Unternehmens ein. Während sich knapp ein Drittel (30%) der Befragten noch orientieren möchte, ist die Mehrheit der Unternehmen (60%) offen eingestellt für konkrete Konzeptionen und Implementierungsvorhaben. 

Teil 1 Bewertung der Relevanz Digitaler Zwillinge
Abbildung 3: Bewertung der Relevanz Digitaler Zwillinge

Mit welcher Art von Digitalen Zwillingen beschäftigen sich Unternehmen?  

Im Rahmen der Befragung nannten uns die teilnehmenden Unternehmen (anonym) zwei reale Anwendungsfälle: einen Produkt-Zwilling und einen Anlagen-Zwilling.  

Der Produkt-Zwilling repliziert die anonymisierten Maschineneigenschaften des physischen Pendants in Form von Zustand, Ort, Fertigungsparameter und Umwelteinflüssen (Hitze, Luftfeuchtigkeit, usw.). Dies ermöglicht nicht nur das Erkennen von drohenden Ausfällen (Predictive Maintenance), sondern macht das Nutzungsverhalten der Kunden transparenter. Das unterstützt zum einem die eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung in der Weiterentwicklung zukünftiger Produkte. Zum zweiten erhöht es das Verständnis des Vertriebs für die Kundenbedarfe und -herausforderungen. 

Der Anlagen-Zwilling zeigt sich stark integriert in involvierte Prozessbereiche. Dieser Digitale Zwilling setzt intensiv auf die Mensch-Maschine-Kollaboration im cyber-physischen Raum. Er bildet nicht nur einzelne Maschinen, sondern auch verbundene Produktionsanlagen ab. Angrenzende Prozessbereiche, wie die Intralogistik, Beschaffung und der Vertrieb werden in die Simulation und Entscheidungsfindung einbezogen. So lassen sich Produktionsstillstände reduzieren, die logistische Versorgung optimieren und die proaktive Kundeninformation vereinfachen. Zukünftig ist die Überlegung mehrere Standorte des Produktionsnetzwerks zu integrieren. 

Welche weiteren Anwendungsmöglichkeiten und Konzeptideen Digitaler Zwillinge es gibt, zeigen unsere Kollegen in diesen Artikeln. 

Fazit und Ausblick 

Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass Unternehmen mehrheitlich eine hohe Relevanz von Digitalen Zwillingen für sich selbst sehen. Insbesondere zur maßgeblichen Optimierung der eigenen Planungsfähigkeiten und Transparenzsteigerung entlang der Supply Chain hin zu einem proaktiven Ansatz finden konzeptionelle Diskussionen und Prototypenentwicklungen statt. Ziel der Unternehmen ist es, die global-dynamischen Entwicklungen schneller, mit weniger Aufwand und präziser zu bewerten und bessere Entscheidungen zu treffen.  

Im folgenden Blogartikel beleuchten wir notwendige technologische Grundlagen sowie die Realisierungshürden, die Unternehmen auf dem Weg zum Digitalen Zwilling erfahren haben.

Das Rennen um die Wertschöpfung: Auf dem Weg zur digitalen Supply Chain

Um den Nutzen einer digitalen Supply Chain voll auszuschöpfen, ist in den meisten Unternehmen noch einiges zu tun. In unserem Thought Paper erfahren Sie, wie Sie die digitale Transformation der Supply Chain voranbringen können.

Zum Download "Digital Supply Chain"

Empfohlene Artikel

New Now in Organizations

Frauen ohne Grenzen: Logistik + Consulting + Frauen = Volltreffer!

In diesem Artikel teilt Nina ihre Erfahrungen, wie es ist, in der Logistik zu arbeiten – einem Bereich, in dem es …

weiterlesen
Data & Analytics

Warum neuronale Netze neuronal sind: das Perzeptron

Nach einer Einführung in die Geschichte der neuronalen Netze konzentriert sich dieser Artikel auf das Perzeptron als die grundlegendste Einheit …

weiterlesen
New Now in Organizations

Warum jetzt der richtige Zeitpunkt für lokales CSR-Engagement ist

Wir erleben derzeit nie dagewesene Zeiten. Der Ausbruch von COVID-19 verändert den Alltag von Unternehmen und deren Mitarbeitern grundlegend. Inmitten …

weiterlesen

Denken Sie Ihre Value Chain neu mit uns

Kontaktieren Sie uns