Die Ziele eines Data Governance Programmes werden meist schnell definiert und management-tauglich kommuniziert: Verantwortlichkeiten klären; Transparenz erhöhen; Vertrauen in Daten steigern; Datenqualität verbessern und dadurch die operative Excellence optimieren. Kurzum: Eine Data-Driven Company werden und die Digitalisierung als Vorreiter mitgestalten – ein griffiges und durchaus anschlussfähiges Zielbild.

Nach der Einführung setzen jedoch oft schnell Ernüchterung, mitunter auch Frustration, ein. Die Verantwortlichkeitsklärung verkommt zur endlosen Selbstverwaltung, die erhoffte Transparenz und das Vertrauen werden durch die neu entstandene Bürokratie im Keim erstickt, und die Datenqualität sinkt alsbald wieder auf ihr ursprüngliches Niveau.

Unsere Erfahrungen aus mehr als 25 Jahren Datenmanagement und Data Governance zeigen: Diese Phänomene sind keine Einzelfälle, sondern ein häufig beobachtetes Muster in Organisationen jedweder Couleur. Ein Muster, das verbindet.

Folgende Fragen drängen sich notgedrungen auf:

  • Was sind die Fallstricke, die so häufig übersehen werden und zu dem skizzierten Muster führen?
  • Wie kann man sie umgehen?
  • Warum gelingt oftmals die Einführung der Data Governance in eine Organisation, aber deren Anwendung im Tagesgeschäft scheitert?
  • Ist es die Verfasstheit der meisten Organisationen, die zu den aufgezeigten Problemen führen, oder sind es die propagierten Data-Governance-Ansätze?

Dieser Beitrag versucht sich in Antworten auf diese Fragen und darauf aufbauend in einem neuen, zukunftsfähigen Verständnis von Data Governance.

Der Geist ist aus der Flasche – Über die (Un)Verfügbarkeit von Daten

Während Sie den kurzen Einführungsabschnitt zu diesem Beitrag gelesen haben, ist folgendes passiert: 9.132 Menschen haben sich laut Statista auf LinkedIn vernetzt. 695.000 Stories sind auf Instagram geteilt worden. 69.000.000 Nachrichten sind via WhatsApp verschickt worden. 197.600.000 E-Mails sind versendet worden. Der „Daten“-Geist ist aus der Flasche. Er prägt, wie die Beispiele zeigen, seit geraumer Zeit unsere Lebensweise – beruflich wie privat.

Allgegenwärtigkeit und Verfügbarkeit sind die zentralen Mantras der datenproduzierenden und datenkonsumierenden digitalen Transformation: Allgegenwärtig im Sinne einer jedweden Lebenssphäre durchdingenden Datenökonomie. Und Verfügbarkeit im Sinne einer prinzipiellen zeit- und orts-unabhängigen Datenproduktion und Datennutzung. Insbesondere letzterer Punkt weckte in den letzten Jahren bei den meisten Unternehmen ein starkes ökonomisch orientiertes Interesse. Daten avancieren zum Datenprodukt, zum zentralen Asset. Ein Asset, welches es wie jedes andere Asset zu kultivieren, zu managen und zu monetarisieren gilt.

Mit diesen Ambitionen im Gepäck fragten sich rasch zahlreiche Unternehmen.

  • Welche Daten sind eigentlich unsere Assets und wo fangen wir mit ihrer Nutzbarmachung an?
  • Wo kommen die Daten eigentlich her und wo werden sie verwendet?
  • Wozu nutzen wir Daten aktuell und wer ist überhaupt für unsere Daten verantwortlich?

Trotz der prinzipiellen Verfügbarkeit der Daten schien die Erkenntnis zu reifen, dass sie sich ihrer Nutzbarmachung und oftmals der Steuerung durch das Management entziehen. Das schiere Datenvolumen sowie die zunehmende Geschwindigkeit der Datenerzeugung sind die wesentlichen Gründe dafür. Unverfügbarkeit aufgrund des schieren Datenvolumens, kann man resümieren.

Erschwerend fiel zudem auf: Ein Zurück war nicht mehr möglich. Unaufhaltsam treibt die digitale Transformation die Datenproduktion voran. Ein sich selbst verstärkender Prozess kann diagnostiziert werden. Kurzum: Auch für Organisationen gilt: Der „Daten“-Geist ist aus der Flasche und er lässt sich nicht mehr zurückzwingen. Wettbewerbsfähigkeit, mitunter sogar das Fortbestehen eines Unternehmens, hängen entscheidend davon ab, wie man mit dem Geist umzugehen vermag.

Ein typisches Reaktionsmuster: Data Governance

Die Mission ist klar und eindeutig: Die Hoheit über die eigenen Daten muss zurückgewonnen werden. Der Weg: Design und Implementierung einer mehrwertstiftenden Data Governance. Die Verwirklichung dieses Vorhabens erfolgt dann oftmals nach dem folgendem, bewährtem Schema:

Gesponsert durch den CFO/CDO des Unternehmens wird eine Datenstrategie entworfen. Der Aufbau einer Data Governance, zunächst mit einem Fokus auf die Stammdaten, auf das Datenfundament des Unternehmens, wird als eines der ersten Projekte im Rahmen der Umsetzung der Strategie initiiert. Data Governance Prozesse und Strukturen werden spezifiziert und zuweilen erfolgt flankierend die Implementierung geeigneter Technologien zur zukünftigen Ausübung der Governance. Im nächsten Schritt werden Rolleninhaber für die neue Datenorganisation gesucht, meist auch schnell gefunden und anschließend zur Ausübung ihrer neuen Tätigkeiten befähigt. Parallel dazu entstehen die ersten Regelungen und Standards, wie zukünftig mit dem Asset „Daten“ umzugehen ist. All dies mit der Hoffnung verbunden, dass nach Abschluss des Projektes endlich aus den eigenen Daten Gold wird.

Ein typisches Reaktionsmuster in Unternehmen, welches zunächst auch schnell erste Erfolge zeigt. Die organisatorischen Veränderungen gelingen in Abhängigkeit von der Datenreife, der strukturellen Komplexität sowie der (mikro-) politischen Gemengelage oftmals schnell und problemlos. Nach sechs bis zwölf Monaten steht die Data Governance. Das Projekt wird als Erfolg verbucht und intern auch so vermarktet. Der „Daten“-Geist scheint zurück in die Flasche zu weichen. Vorerst!

Über Fallstricke bei der Anwendung von Data Governance – Oder: Wenn die Lösung das Problem ist

Die ersten Anzeichen, dass der „Daten“-Geist sich doch nicht wie erhofft bändigen lässt, sind oft schon schnell nach Projektabschluss erkennbar. So kommen beispielsweise Geschäftsprozesse immer noch wegen Datenqualitätsproblemen ins Stocken, trotz zahlreicher neuer Regelungen und Standards. Auch der ersehnte Mehrwehrt durch die Nutzbarmachung der eigenen Daten fällt meist bescheiden aus. Zum Teil sind sogar Verschlechterungen auszumachen. So scheinen die neu eingeführten Data-Governance-Strukturen und Prozesse aufgrund ihrer inhärenten Komplexität negative Auswirkungen auf die Transparenz zu haben. Mitunter ist es jetzt unklarer, wer für welche Daten verantwortlich ist, als es vor der Einführung der Data Governance gewesen war.

Diese und weitere Herausforderungen lassen sich auf folgende Fallstricke zurückführen, die regelmäßig in vielfältigen Organisationen bei der operativen Anwendung von Data Governance zu beobachten sind:

  • Data Governance als Selbstzweck: Data Governance wird durch Kolleginnen und Kollegen umgesetzt, die sich dafür begeistern. Das sind in der Regel diejenigen, die Data Governance bereits vor ihrer Einführung informell ausgeübt haben. Sie sind jetzt die Hauptakteure der Data Governance. In Konsequenz werden alle Themen mit der Brille der „Data Governance“ betrachtet. Dabei fehlt in vielen Fällen der Bezug zur organisationalen Wertschöpfung. Die Data Governance wird um ihrer selbst willen umgesetzt und optimiert. Ein weiteres Silo im Unternehmen ist entstanden!
  • Die unveränderliche Data-Governance-Organisation: Rollen, Verantwortlichkeiten, Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse, Gremien, kurzum die Data-Governance-Organisation wird im Rahmen der Implementierung aufwendig definiert, auf die existierenden Organisationsstrukturen abgestimmt und aufgebaut. Und dort bleibt sie stehen, während sich das Unternehmen verändert und eine Reorganisation nach der andern durchläuft. Die ursprüngliche Data-Governance-Organisation bleibt dabei unangetastet, und es kommt mittelfristig zu einer Entkopplung mit der Folge, dass die Wirksamkeit der Data Governance sinkt.
  • Data Governance als schöner Schein: Data Governance wird ausgeübt, weil es den Erwartungen einiger Stakeholder entspricht. Unternehmensexterne und -interne Erwartungen bilden die Maßstäbe für die Data Governance und nicht die organisatorische Wertschöpfung. Die Folge: Eine unwirksame Data Governance, aufgrund der Orientierung an den falschen Maßstäben.
  • Data Governance als zahnloser Papiertiger: Prozesse, Organisationsstrukturen, Konzepte, Regelungen etc. werden aufwendig und detailliert spezifiziert sowie kommuniziert. Eine Anwendung in der Praxis findet jedoch nicht statt. So existiert die Data Governance auf dem Papier und produziert Unmengen von Richtlinien, Vorgaben und Standards, und somit wiederrum neue Daten. Die propagierte Lösung des Datenproblems wird dadurch zu einem weiteren Treiber des Problems. Oder: Wenn die Lösung das Problem ist!

Prinzipien einer Data Governance 2.0

Die skizzierten Fallstricke und die darauf zurückführenden Fehlentwicklungen nach der Einführung einer Data Governance erfordern ein grundlegendes Umdenken. Eine ganzheitliche, praxisorientierte und auf die unternehmerische Wertschöpfung ausgerichtete Data Governance ist notwendig: eine Data Governance 2.0! Eine Data Governance 2.0, die sich folgende handlungsleitende Prinzipien für die Einführung und die nachhaltige, erfolgreiche operative Umsetzung auszeichnet:

  • Der Gestaltungsfokus von Data Governance liegt auf der Wertschöpfung, das heißt auf den Produkten, Dienstleistungen oder ganz allgemein dem Wert, der durch ein Unternehmen geschaffen wird, nicht auf der Data Governance selbst! Der Wertbeitrag, den die Data Governance durch die Kultivierung des Assets Daten erbringt, ist kontinuierlich im Zusammenspiel mit den unternehmensinternen und -externen Interessgruppen abzustimmen und zu gestalten.
  • Die Data-Governance-Organisation ist eine lernende Organisation. Veränderungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens müssen kontinuierlich beobachtet und im Hinblick auf die Wirksamkeit der Data-Governance-Organisation reflektiert werden. Sie liefern wertvollen Input für die Entwicklung der Data-Governance-Organisation. Kurzum: Erfolgskritischer Aspekt einer jeden Data-Governance-Organisation ist die Fähigkeit, sich regelmäßig selbst in Frage zu stellen!
  • Zentraler Bezugspunkt für die Bewertung der Wirksamkeit der Data Governance ist die organisationale Wertschöpfung. Welche Handlungen und Entscheidungen einen Mehrwert liefern, ist dabei unternehmensspezifisch. In Konsequenz muss sich die Ausübung von Data Governance an den Gegebenheiten sowie der spezifischen Eigenlogik eines Unternehmens orientieren. Nicht an theoretischen Modellen und Vorgaben.
  • Data Governance ist eine Praxisdisziplin und geht über die reine Steuerung via Standards und Regelungen hinaus. Vielmehr bedarf es eines wertorientierten und aufeinander abgestimmten Managements, um fortlaufend die Vorrausetzungen für eine wirksame Data Governance zu schaffen.
Data Governance Pitfalls
Abb. 1: Das Design, die Implementierung und der Betrieb von Data Governance ist mit typischen Fallstricken verbunden, die zu unangemessenen Vereinfachungen und Ineffizienz führen

Für jene, die in zukünftige wettbewerbsfähig investieren und ihre Daten zu Gold verwandeln möchten, ist der Handlungsbedarf . Dies gilt für alle Unternehmen, unabhängig davon, ob bereits eine Data Governance existiert oder nicht. Die skizzierten Fallstricke sowie die aufgeführten Prinzipen können bei dem Vorhaben, die eigene Data Governance weiterzuentwickeln oder eine Data Governance neu einzuführen, Orientierung bieten. Orientierung, um den Weg hin zu einer Data-Driven Company zu meistern und Orientierung, um die digitale Transformation der Gesellschaft aktiv als Vorreiter zu gestalten. Gleichzeitig hat es sich bewährt, dass ein externer Blick bei der bei der Einführung oder Anpassung einer Data Governance, Umsetzungsprozesse beschleunigen, Kosten verringern und nachhaltig Mehrwert stiften kann.

Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, wie Sie eine Data Governance 2.0 in Ihrem Unternehmen etablieren, kontaktieren Sie unsere Experten.

Wir möchten Caroline Gerschner für ihren wertvollen Beitrag zu diesem Artikel danken.

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