Eine effektive Segmentierung der Lieferkette kann ein starker Werttreiber für Unternehmen sein. Sie sorgt für eine klare Differenzierung zwischen den Betriebsmodellen und hilft so, die hohe Komplexität heutiger Lieferketten zu bewältigen.

Komplexität erhöht den Druck auf Lieferketten in der Pharmabranche

Die Lieferketten in der Pharmabranche sind auf verschiedenen Ebenen mit einer stetig wachsenden Komplexität konfrontiert: Neue Produkteinführungen erweitern das Portfolio, während differenziertere Produktionstechnologien die Anzahl der Darreichungsformen pro Produkt weiter erhöhen. Moderne Produkte erfordern neue Liefermodelle, zum Beispiel Direktlieferungen an den Patienten oder auch geschlossene Lieferketten für individualisierte Behandlungen. Auch die Geschäftsmodelle haben sich in den letzten Jahren stark verändert: Der Trend geht zu ergebnisorientierten Modellen, bei denen integrierte Diagnose- und Behandlungslösungen im Vordergrund stehen.

Dies stellt moderne Pharma-Lieferketten vor große Herausforderungen, da es sehr unterschiedliche Nachfragemerkmale und -anforderungen gibt: Die Unterschiede liegen zwischen verschiedenen Produkten im Portfolio, aber auch zwischen denselben Marken in verschiedenen Märkten (z.B. entwickelte Märkte im Gegensatz zu Vertriebsmärkten). Die Nachfrage wird in der Regel durch verschiedene Faktoren gesteuert, wie z.B. Einführungs-/Erstattungszeitplan, vorhandene wettbewerbsfähige Behandlungen, Ausschreibungsgeschäft oder Parallelhandel, um nur einige zu nennen. Zudem unterscheiden sich die Werttreiber erheblich zwischen den verschiedenen Vertriebskanälen, Produkten und Vertriebsmodellen. Während bei klassischen niedermolekularen Arzneimitteln mit mittlerer bis hoher Großhandelsnachfrage der Fokus typischerweise auf einer stabilen und kosteneffizienten Versorgung liegt, erfordern ausschreibungspflichtige Produkte wesentlich agilere Angebotsstrukturen, um wettbewerbsfähig zu sein.

All diese Faktoren, Merkmale und Anforderungen müssen angemessen verwaltet werden, um die Lieferketten so effektiv und effizient zu gestalten: Moderne Lieferketten müssen sehr differenziert sein und gleichzeitig auf einem starken Fundament gemeinsamer Elemente aufbauen. Die Segmentierung der Lieferkette ist dafür ein entscheidender Faktor.

Segmentierung der Lieferkette – neu gedacht mit drei Prinzipien

Als Konzept gibt es die Segmentierung der Lieferkette schon seit vielen Jahren. Sie bleibt jedoch häufig hinter den hohen Erwartungen zurück, die an sie gestellt werden. Unsere Erfahrung aus zahlreichen Lieferkettentransformationen in der Pharmaindustrie hat gezeigt, dass es drei zentrale Prinzipien gibt, um das Konzept in die Realität umzusetzen und das volle Potenzial der Lieferkettensegmentierung auszuschöpfen:

1.      End-to-End, aber zweckorientiert

Um effektiv zu sein, muss die Segmentierung die gesamte Lieferkette erfassen (end-to-end), dabei aber einen klaren und eindeutigen Zweck haben. Sie sollte nicht darauf abzielen, verschiedene Fragen in einem Schritt zu lösen. Es gibt also nicht die eine umfassende Segmentierung, die alle Entscheidungen in der Lieferkette unterstützt, sondern vielmehr eine Reihe verschiedener Segmentierungen, die das Gesamtbild ergeben. Um die Komplexität entlang einer typischen Pharma-Lieferkette bewältigen zu können, braucht es unserer Erfahrung nach fünf Hauptsegmentierungsbereiche: von der kommerziellen Priorisierung als leitende Segmentierung auf strategischer Ebene bis hin zu den eher taktischen Bereichen der Prognose, des Verteilungsmodells, der Auffüllung und der Inbound-Segmentierung (siehe Abbildung 1).

Segmentierung in Pharma-Wertschöpfungsketten und PharmaSupply Chains: fünf Hauptbereiche
Abb. 1: Entlang der Pharma-Wertschöpfungskette gibt es fünf Hauptbereiche für die Segmentierung

2.      Faktenbasiert & datengesteuert

Häufig beobachten wir, dass sich Segmentierungen auf vereinfachte ABC/XYZ-Ansätze beschränken, die nur die Produktmenge/-bedeutung und die Variabilität berücksichtigen – und daher nur begrenzt Ergebnisse liefern. Um den Zweck der Segmentierung bestmöglich zu erfüllen, müssen relevante Segmentierungsdimensionen und deren Schwellenwerte aus Fakten und nicht nach Bauchgefühl abgeleitet werden: Die Unterstützung einer kommerziellen Priorisierung umfasst zum Beispiel typischerweise Kriterien wie Deckungsbeitrag, therapeutische Notwendigkeit und strategisches Wachstum. Das Ziel ist es, Ziel-Service-Levels und Sicherheitsbestände zu differenzieren und den Gewinn zu steigern. Im Gegensatz dazu konzentriert sich die Nachschubsegmentierung auf Lieferkettenkriterien wie Nachfragevolumen und -variabilität, FDF-Pooling-Faktor (d.h. wie viele Fertigprodukte aus demselben Massenprodukt hergestellt werden) und Umrüstzeiten. Ziel ist eine stabile und effiziente Versorgung. Basierend auf diesen unterschiedlichen Zielfunktionen müssen die Schwellenwerte zwischen den Segmenten analytisch abgeleitet werden.

Die Technologie ermöglicht eine andere Ebene der Segmentierung: Erstens lassen sich mehr verfügbare Daten aufnehmen, die für eine bestimmte Segmentierung relevant sind, z.B. für die kommerzielle Priorisierung. Zweitens ist eine End-to-End-Optimierung möglich, indem sie sich nicht nur auf eine Segmentierung konzentriert, sondern verschiedene Segmentierungen miteinander verbindet.

3.      Von einmalig zu adaptiv

Viel zu oft sehen wir Segmentierungen, die als einmalige Aktivität durchgeführt werden, zum Beispiel im Rahmen einer Initiative zur Leistungssteigerung. Wenn sich später Umstände verändernden, veralten Segmentdefinitionen und abgeleitete Strategiezuweisungen. Daher ist es für den Wert einer Segmentierung von entscheidender Bedeutung, dass Segmente regelmäßig (je nach Segmentierungszweck sogar täglich) überprüft und angehängte Strategien fortlaufend aktualisiert werden. In vollem Umfang angewendet, ermöglicht eine moderne Segmentierungsautomatisierung diesen regelmäßigen Erneuerungsprozess ohne manuellen Aufwand, beispielsweise bei der Überprüfung und Aktualisierung von Nachfragevariabilitätsprofilen als Input für die Pufferbestandsberechnung. Dies erfordert den Einsatz von Apps zur Entscheidungsunterstützung, die in den Supply Chain Data Lake integriert sind und Segmentierungsänderungen an Produktstammdaten und Planungsparametern nahtlos zurückgeben.

Dabei ist die Segmentierung der Lieferkette kein Selbstzweck. Sie ist nur dann sinnvoll und lohnenswert, wenn sie einen echten Mehrwert für die Lieferkette (und damit das Unternehmen) schafft. Dass es diese Vorteile gibt, haben wir in vielen Lieferkettenprojekten beobachtet: von signifikanten Top-Line-Effekten über eine erhöhte Produktverfügbarkeit bis hin zu erheblichen Bottom-Line-Ergebnissen, z.B. basierend auf Working-Capital-Reduzierungen und Effizienzsteigerungen.

Fallstudie: End-to-End-Segmentierung der Lieferkette

In einem kürzlich durchgeführten Projekt bei einem mittelständischen Pharmaunternehmen haben wir eine differenzierte Lieferkette basierend auf drei separaten Segmentierungen entworfen, die die Lieferkette durchgehend verbinden:

  1. Die kommerzielle Priorisierung als strategische Segmentierung zum Markt verband die Faktoren strategische Produktbedeutung (z.B. aufgrund von Wachstumspotenzial) und Produktwesentlichkeit (d.h. Wirkung auf den Patienten). So wurde beispielsweise das erforderliche Service-Level als Input für die Zielbestandsdefinitionen bestimmt, um eine angemessene Marktversorgung sicherzustellen.
  2. Während der erforderliche Service-Level unabhängig von Metriken wie Nachfragevolumen und -variabilität ist, berücksichtigt die weiter vorgelagerte Fill & Finish-Segmentierung diese Faktoren (als Teil der Nachschub-Segmentierung). Durch die Kombination von Nachfragevolumen und -variabilität auf SKU-Ebene konnten vier Hauptnachschub-Archetypen identifiziert werden: Sie reichen von wöchentlichen Nachschubmustern für High Runner (d.h. gut planbare hohe Volumina), die für eine stabile Grundlast in der Produktion sorgen, bis hin zu flexiblem On-Demand-Nachschub für exotische Produkte mit eher sporadischer Nachfrage. Durch die Definition unterschiedlicher Flexibilitätsgrade für die verschiedenen Archetypen konnten wir die Flexibilitätsvorteile (zum Beispiel die kurzfristige Produktion des Produkts oder kurzfristige Planänderungen) für genau jene Produkte besser nutzen, die sie am dringendsten benötigen.
  3. Dies wurde auf die Massen- und Fertigungssegmentierung – den zweiten Teil der Nachschub-Segmentierung – abgestimmt. Dabei wurden die Massenentkopplungsstrategien nicht nur auf der Grundlage des Nachfragevolumens und der -variabilität auf Massenebene definiert, sondern auch unter Berücksichtigung des FDF-Pooling-Faktors (Anzahl der FDF, die von einem Massenprodukt versorgt werden), der Nachschubvorlaufzeiten und Lagerbeschränkungen. Während sich Massenprodukte mit hohem Volumen (die typischerweise viele FDF versorgen) und relativ stabiler Nachfrage für eine Massenentkopplung qualifizieren, definierten wir für Produkte mit geringer, aber schwankender Nachfrage Auftragsfertigungsstrategien auf Massenebene.

Durch die Verknüpfung dieser drei Segmente konnten wir eine klare End-to-End-Nachschubkonfiguration für alle Produkte definieren, durch die die Lagerbestände entlang der Lieferkette um >20% optimiert werden konnten. Gleichzeitig konnten verlorene Umsatz- und Auftragsbestände sowie Kundenstrafen deutlich reduziert werden.

Segmentierung mit Intelligenzsystemen ermöglichen

Moderne Planungstools bieten einige grundlegende Segmentierungsfunktionen. Die volle Leistungsfähigkeit moderner Segmentierungsansätze wird in Standardplanungssoftware in der Regel aber nicht unterstützt. Diese Lücke wird durch spezialisierte Tools geschlossen, die das Potenzial mehrdimensionaler, datengetriebener und ständig aktualisierter Segmentierungen voll ausschöpfen können.

Diese Segmentierungstools sind in der Regel vollständig in die Systemlandschaft integriert und rufen erforderliche Informationen direkt aus fortschrittlichen Planungstools und ERP-Systemen ab. Sie verwenden in der Regel Machine-Learning-Algorithmen, um die am besten passenden Lieferkettensegmente zu identifizieren, Planungsstrategien und -taktiken basierend auf definierten Regeln vollautomatisch zu verknüpfen und die Segmentierungsergebnisse an die Planungs- und Ausführungssysteme zurückzugeben. Mit diesem geschlossenen Informationskreislauf können segmentierungsbasierte Planungsentscheidungen vollständig automatisiert und in Echtzeit in den Planungsprozess integriert werden.

So können Unternehmen beispielsweise die Auswahl geeigneter Prognosemodelle, die Definition geeigneter Lagerbestände oder die optimale Produkt-Linien-Zuordnung-Zuordnung innerhalb der Produktion vollständig automatisieren – um nur einige Anwendungsfälle zu nennen.

Und wo anfangen mit der Segmentierung?

Die Segmentierung der Lieferkette ist kein Selbstzweck – doch moderne Lieferketten können ohne den richtigen Einsatz von Segmentierungsansätzen nicht erfolgreich funktionieren. Eine effektive Segmentierung kann ein starker Werttreiber für ein Unternehmen sein, indem sie Betriebsmodelle klar differenziert und so der heutigen enormen Komplexität von Lieferketten gerecht wird.

Wie bei jeder Reise gilt auch bei der Segmentierung: Es ist wichtig, den ersten Schritt zu tun. Dies sollte ein Überblick über aktuelle, in der Regel eher fragmentierte und manchmal veraltete Segmentierungsansätze im Unternehmen sein. Durch die Identifizierung des aussichtsreichsten Anwendungsfalls und damit des Segmentierungszwecks kann ein Pilotprojekt zur Segmentierung eingerichtet werden. Es wird schnell greifbare Ergebnisse liefern und dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die neue Logik zu entwickeln. Nach gründlicher Prüfung der ersten Ergebnisse und wenn sich erste sichtbare Vorteile einstellen, kann die Segmentierungslogik entlang der Lieferkette zu einem echten End-to-End-Ansatz erweitert werden.

Wir sind gespannt auf Ihre individuellen Herausforderungen und Anwendungsfälle! Sprechen Sie mir uns, wie Sie Ihre zukünftige Lieferkette gestalten können!

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