Vielen Lieferketten fehlt es an grundlegenden Funktionen, da sie teilweise schon seit geraumer Zeit laufen und oft nicht systematisch ausgebaut wurden. Diese Lieferketten treffen nun auf ein Umfeld, das durch eine bisher nicht gekannte Volatilität und Unsicherheit geprägt ist.

Damit diese Lieferketten den aktuellen Herausforderungen standhalten, müssen die Erkenntnisse der vergangenen Jahre angewendet und eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Lieferkettenorganisation geschaffen werden, die auch in Zeiten von Covid-19 funktioniert. Was bedeutet dies nun für die Lieferkettenplanung?

Das Redaktionsteam von CAMELOT hat mit unserem Lieferkettenspezialisten Christian Kroschl darüber gesprochen, wie er sich die künftige Lieferkettenplanung vorstellt.

Christian, was ist das Problem bei der heutigen Lieferkettenplanung?  

Viele unserer Kunden haben hinsichtlich ihrer Lieferkettenplanung noch einen weiten Weg vor sich. Wesentliche Voraussetzungen für das Lieferkettenmanagement, wie etwa durchgängige Transparenz, sind eher die Ausnahme als die Regel. Angesichts geänderter Kundenansprüche, Störungen der Verkehrsinfrastruktur oder fehlender Transportkapazitäten sowie Lieferengpässen z. B. bei Prozessoren müssen unbedingt neue Konzepte für mehr Resilienz her.

Wie ich bereits in einem früheren Blog erwähnt hatte, bestehen die Herausforderungen, mit denen viele Unternehmen zu kämpfen haben, seit Jahrzehnten. Nachfrageschwankungen aus funktionalen und lokalen Silos, Prognosefehler oder eine Fehlausrichtung der Versorgungsparameter werden über die gesamte Lieferkette weitergegeben. Die Digitalisierungsvorhaben oder der Einsatz disruptiver Technologien sind einfach noch nicht weit genug gediehen, um schon Abhilfe zu schaffen.

Wie gehen Unternehmen Verbesserungen ihrer Lieferkettenorganisation am besten an?  

Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass Ansätze am erfolgreichsten sind, deren Schwerpunkt auf der Verbesserung der grundlegenden Lieferkettenplanung, priorisiert nach strategischen Trends und Zielen, liegt. Auf diese Weise können neue Funktionen implementiert und die wichtigsten Probleme schnell gelöst werden, während man von neuen Trends profitiert.

Es gibt da eine Reihe von Trends, die für Unternehmen interessant sind – von Prozessanpassungen und neuen Technologien über segmentierte Netzwerke bis hin zur End-to-End-Accountability.

Wir besprechen diese Lieferkettentrends in unseren Kundenprojekten sehr genau und visualisieren zudem, wie moderne Lieferketten in Zukunft aussehen könnten.

Und wie sieht Deine Vision für die Lieferkettenplanung aus? 

Bei CAMELOT stellen wir uns eine selbstregulierende Lieferkette vor, die auf modernen Technologien wie Data Science und neuronalen Netzen aufbaut. Diese ebnen automatisierten Entscheidungshilfen in der Lieferkettenplanung den Weg. Sie kommen vor allem bei operativen Aufgaben zum Einsatz, etwa eine automatisch ausgelöste Auffüllung oder eine nachfrageabhängige Anpassung der Bestandspuffer. Hier bietet sich die Gelegenheit, sowohl Erkenntnisse aus früheren Daten als auch externe Datenquellen in die Entscheidung einfließen zu lassen und dennoch Spielraum für menschliche Intuition und Erfahrung zu haben.

Welche Rolle spielen Technologien? 

Die Technologiefortschritte der letzten Jahre machen vieles möglich. So können Probleme in einem Umfang gelöst werden, wie es noch vor zehn Jahren unvorstellbar war. Ein gutes Beispiel dafür ist Blockchain: die Möglichkeiten der Rückverfolgbarkeit, die diese Technologie uns gibt, wären früher nur mit unglaublich viel Papierkram machbar gewesen.

Der technologische Fortschritt hilft uns also, Prozesse anzupassen und neue Strategien zu verfolgen. Stellen wir uns einmal einen Lieferkettenplanungsprozess mit einem zentralen Control Tower vor: Ein solcher Prozess lässt sich nur einführen und umsetzen, wenn Technologien unterstützt werden, die z. B. Lieferprobleme und die damit verbundenen Abhängigkeiten beim Kunden frühzeitig erkennen, als Entscheidungshilfe relevante KPIs auswerten und daraus schnell alternative Szenarien simulieren können.

Du hast einen weiteren Trend erwähnt, die umfassende Nachverfolgbarkeit von Entscheidungen, die „End-to-End-Accountability“.

Genau. Damit ist gemeint, dass Lieferkettenentscheidungen auf KPIs zur allgemeinen Optimierung basieren und durch diese kontrolliert werden. Die Performance der Lieferkette muss lückenlos nachverfolgbar sein, wenn wir von der Optimierung der Silos wegkommen wollen. Oft stellen wir fest, dass gegensätzliche KPIs zu widersprüchlichen Optimierungen in den einzelnen Abteilungen führen – etwa wenn die Produktion an der Maximierung der Produktionsmenge gemessen wird, die Produktionsplanung an der Verkürzung der Umstellzeit, die Netzwerkplanung an der Minimierung der Lagerbestände und der Kundenservice am Niveau des erzielten Service Levels. Die KPIs müssen daher harmonisiert werden, wobei eine umfassende Lieferkettenorganisation dazu beitragen sollte, dass die allgemeinen Unternehmensziele und -strategien erreicht bzw. umgesetzt werden.

Gehört es beispielsweise zur Strategie eines Unternehmens, sich im Low-Cost-Bereich aufzustellen, hat eine umfassende Lieferkettenorganisation zum Ziel, die Kosten gering zu halten und dabei ein bestimmtes Service Level zu erreichen. Möchte ein Unternehmen jedoch maximalen Service für die Kunden bieten, besteht die umfassende Strategie für die Lieferkette in einer Konstellation, die das erreichte Service Level innerhalb festgelegter Kostengrenzen maximiert.

Welches ist Deiner Meinung nach das drängendste Problem der Führungskräfte im Bereich Supply Chain?  

Derzeit gibt es verschiedene Themen, die Lieferkettenstrategen umtreiben, beispielsweise die durch den Klimawandel und geopolitische Konflikte bedingte zunehmende Risikoanfälligkeit der Lieferketten oder der Zugzwang, der durch lokale Gesetze wie das deutsche Lieferkettengesetz entsteht. Auch die Themen Widerstandsfähigkeit von Lieferketten und Risikomanagement in der Supply Chain sind im Moment wieder brandaktuell.

Als Reaktion auf die Herausforderungen durch Covid-19? 

Auch, aber die Pandemie ist nur einer von vielen Faktoren. Untersuchungen verschiedener Institutionen bestätigen, dass sowohl die Auswirkungen als auch die Häufigkeit der Unterbrechungen für weltweite Lieferketten zugenommen haben. Trackingdaten der Versicherungsbranche bezüglich solcher Störungen besagen, dass sich die jährliche Zahl an Naturkatastrophen in den vergangenen 10 Jahren nahezu verdoppelt hat [1]. Die Zahl von Störungen wie Infektionen mit Malware ist in einem vergleichbaren Zeitraum sogar um mehr als das 50-fache gestiegen [2] – um nur zwei Beispiele zu nennen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass der Ruf nach einer besseren Widerstandsfähigkeit von Lieferketten immer dringlicher wird. Das Konzept gibt es bereits seit etwa 15 Jahren, doch nur wenige Organisationen haben es geschafft, ihre Lieferketten entsprechend zu gestalten.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Wie sollten Führungskräfte im Bereich Supply Chain an das Thema herangehen? 

Zunächst einmal muss man akzeptieren, dass nichts in dieser Welt sicher ist: Niemand kann verhindern, dass ein Vulkan ausbricht! Supply-Chain-Verantwortliche können aber Technologien einsetzen, um die Dynamik hinter der Leistung von Lieferketten zu verstehen. Zunächst sollten sie die Schwachstellen in ihrem Lieferkettennetz auswerten. Dann können sie widerstandsfähige Strategien entwerfen und in das Lieferkettendesign und ihre Planungsprinzipien integrieren. Und schließlich können sie eine kontinuierliche, risikobewusste und widerstandsfähige Planung umsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch, Christian. 

[1] Natural disaster risks: Losses are trending upwards | Munich Re

[2] 2021 Cyber Security Statistics: The Ultimate List Of Stats, Data & Trends | PurpleSec

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