Die unternehmensübergreifende CO2-Nachverfolgung ist eine wichtige Voraussetzung für die Reduzierung von Scope 3-Emissionen. Die Umsetzung ist allerdings herausfordernd. Blockchain-basierte Nachhaltigkeits-Ökosysteme fördern die Zusammenarbeit und liefern verlässliche CO2-Daten. Damit können sie eine Lösung für diese Herausforderung sein.

Führende Unternehmen betrachten ihren CO2-Fußabdruck zunehmend granularer, indem sie CO2 und ähnliche Stoffe nicht länger nur auf Unternehmens-, sondern auch auf Produktebene abbilden. Dafür ist nicht nur eine differenziertere Analyse der CO2-Emissionen innerhalb eines Unternehmens nötig, sondern auch ein tiefgreifenderes Verständnis des CO2-Fußabdrucks zugekaufter Materialien und Dienstleistungen. Der unternehmensübergreifende Austausch zu CO2-Emissionen (Scope 3) steckt noch in den Kinderschuhen, aber Digitalisierung und Blockchain können hier zu erheblichen Fortschritten verhelfen.

Warum die unternehmensübergreifende CO2-Nachverfolgung so wichtig ist

Um das europäische Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 oder früher zu erreichen, müssen alle Unternehmen ihren Beitrag leisten, indem sie CO2-Emissionen messen und neutralisieren. Indem CO2-Emissionen auf operativer Ebene (z. B. auf Produktebene) sichtbar gemacht werden, können Unternehmen beginnen, diese zu managen und zu reduzieren. Allerdings ist der Weg zu Netto-Null noch weit. Strategische, in die Wertschöpfungskette eingebettete und digitale Lösungen sind die treibenden Kräfte auf dem Weg zu Netto-Null. Neue, digitale Konzepte können die benötigte Infrastruktur und analytischen Fähigkeiten liefern, um CO2-Emissionen zu mindern und einen echten strategischen Vorteil aus CO2-Daten zu ziehen.

Während die ersten Bemühungen der Branche zu CO2-Transparenz und -Reduzierung in den Bereichen Scope 1 und 2 des GHG Protocol führten, scheint das Management von Scope 3-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette mehr Probleme zu bereiten. Da Scope 3 etwa 70 bis 90 % aller Emissionen umfasst, erweitert die Politik aktuell die Regeln zur organisationsübergreifenden Haftung. Abb. 1: Durchschnittliche Verteilung Scope 1-3 in den Branchen Life Sciences und Chemie

Hohe Scope 3-Emissionen werden überwiegend verursacht durch komplexe, spezialisierte und ausgelagerte globale Wertschöpfungsketten, z. B. aufgrund einer hohen Anzahl von Lieferanten, der Integration verschiedener Teile, mehrstufiger Produktion sowie Online- und Offline-Interaktion. Um eine unternehmensübergreifende CO2-Nachverfolgung zu ermöglichen, sind drei verschiedene konzeptionelle Ansätze denkbar:

  • Projektbasierte Lebenszyklusanalyse
  • Punkt-zu-Punkt-Datenaustausch
  • Ökosystem-Ansatz

Abb. 2: Datenübertragung von einem Unternehmen an ein anderes für für die Nachverfolgung von Scope 3-Emissionen

Eine projektbasierte Analyse ist eine einmalige Herangehensweise, zum Beispiel für ein spezifisches bestehendes Produkt oder eine jährliche Unternehmensprüfung. Sie erfordert eine operative Ad-hoc-Transparenz zu CO2-Daten, das Vertrauen auf die Verlässlichkeit von Lieferanten-Daten oder einen pragmatischen Ansatz zur Beurteilung der CO2-Werte gelieferter Produkte und Dienstleistungen. Die Vorteile sind ein geringerer Aufwand für die Ermittlung des CO2-Fußabdrucks von Unternehmen dank einmaliger Analysen und ein reduzierter Scope mit Beschränkung auf spezifische Produkte.

Allerdings haben Unternehmen im schlimmsten Fall keine verfügbaren Daten, bemühen sich nicht, diese zu erheben, berechnen die Daten falsch und stellen angefragte Daten in einem unpraktischen Format zur Verfügung. Dies alles macht Lebenszyklusanalysen (LCAs) teuer, nicht auf das gesamte Portfolio skalierbar und damit zu einer statischen, einmaligen Sache.

Ein Punkt-zu-Punkt-Datenaustausch verbindet zwei Unternehmen bilateral miteinander, um einen permanenten Supply-Chain-übergreifenden Austausch verfügbarer CO2-Daten zu ermöglichen, z. B. Stammdaten, Bestellungen und Lieferungen. Im letztgenannten Punkt werden die empfangenen Daten mit eigenen Informationen angereichert und an den nächsten Teilnehmer der Lieferkette weitergegeben. Dieser Ansatz ist sehr komplex, da eine hohe Zahl an Transaktionen die CO2-Zuweisung an spezifische Unternehmen und Produkte erschwert. Das Einrichten individueller Schnittstellen für jeden einzelnen Lieferanten (von mehreren tausend) wäre sehr zeit- und kostenintensiv, und für eine dauerhafte Transparenz wären viele individuelle Punkt-zu-Punkt-Schnittstellen zum Empfang von CO2-Daten erforderlich.

Für den Punkt-zu-Punkt-Austausch gelten die gleichen Herausforderungen wie für einen projektbasierten Austausch. Eine bessere Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Unternehmen könnte jedoch zu einer höheren Datenqualität und schnelleren Ergebnissen führen.

Der Ökosystem-Ansatz beinhaltet eine partizipative Gemeinschaft oder ein Netzwerk von Unternehmen und Institutionen, die bereit sind, CO2-Daten auszutauschen. Mehrere Parteien nutzen eine gemeinsame Infrastruktur, um die Lebenszyklusanalyse eines Produkts effizient und effektiv durchzuführen. Die Ökosysteme können sowohl dezentralisiert als auch zentralisiert sein. Während das zentralisierte Ökosystem von Vorteil für die zentrale Partei sein kann, treten andere Parteien oft nur bei, damit sie nicht aus dem Geschäft ausgeschlossen werden. Dies kann in Fertigungsnetzwerken beobachtet werden, wo Marken einen großen Einfluss auf die Partizipation ihrer OEMs haben. Lieferanten sehen sich dadurch mit einer Vielzahl von Anforderungen konfrontiert, um verschiedene Systeme bei jedem ihrer Kunden zu bedienen.

Das dezentrale Ökosystem ermöglicht, dass Daten nur einmal und damit mit jedem Teilnehmer des Netzwerks geteilt werden, der Zugriff hat. Auch wenn dieses System ebenfalls von einer zentralen Organisation betrieben wird, hat die International Air Transport Association (IATA) ein solches System eingerichtet, um die Daten elektronischer Tickets oder Standards für Bordkarten mit Barcodes auszutauschen. Die Verwendung eines dezentralen Netzwerks reduziert die Anzahl der Schnittstellen und Transaktionen und daher die Anforderungen an Komplexität und Integration zwischen den Teilnehmern. Allerdings erfordert dies einen völlig anderen gemeinschaftlichen Ansatz, der auf einer vertrauenswürdigen Plattform basiert.

Beide Ökosystem-Konzepte stehen auch vor der Herausforderung, Daten zu sammeln und diese spezifischen Einheiten (Produkten, Geschäftseinheiten usw.) zuzuweisen. Darüber hinaus müssen die geteilten Daten einheitlich sein, damit diese verlässlich und vertrauenswürdig sind.

Zusammenarbeit von Ökosystemen als neuer Standard für die Nachverfolgung von Scope 3-Emissionen

Bei der Arbeit mit einem dezentralen Business-Ökosystem müssen das Vertrauen gegenüber den Sendern von Daten, die Vertrauenswürdigkeit von Daten und die Transparenz der Verarbeitungslogik (Algorithmen) sichergestellt werden.

Diese Eigenschaften beschreiben ein typisches Problem, das dezentralisierte Technologien wie die Blockchain gut lösen können. Blockchain als Technologiekonzept bildet die Grundlage für eine Zusammenarbeit über das ganze Ökosystem, um zuvor spezifizierte und vertrauenswürdige Informationen zu teilen.

Ein oft vernachlässigter Aspekt für den Erfolg dezentralisierter Technologien und der Blockchain ist die Anforderung ein Ökosystem einzurichten, in dem Teilnehmer über das „einfache“ Einführen einer Technologie hinaus zusammenarbeiten. Hier kommt Blockchain als Mittel zur Nachverfolgung von Scope 3-Emissionen über den gesamten Geschäftsprozess oder die gesamte Wertschöpfungskette ins Spiel.[1]

In Blockchain-basierten Ökosystemen – die oft als Konsortien bezeichnet werden – ist die Gemeinschaft der Teilnehmer verantwortlich für das Gesamtergebnis des Systems. Die Climate Change Coalition (CCC) zum Beispiel wirbt für den Einsatz von Blockchain zur Skalierung von Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an den Klimawandel. Ein Grund für die Wahl dieser Technologie ist die Möglichkeit, dass Teilnehmer Kontrolle über die Daten ausüben können, während gleichzeitig Transparenz und Vertrauenswürdigkeit der Daten sichergestellt werden können. Abb. 3: Blockchain als Beispiel für die Produkt-Lebenszyklusanalyse in der Life Sciences-Branche

Auf dem Papier lesen sich die Versprechen von Blockchain oft wie die eines Allheilmittels. In der Praxis scheint es jedoch nur eine begrenzte Anzahl erfolgreicher Implementierungen zu geben, da es noch Hürden gibt, die es zu meistern gilt, wenn Informationen über den CO2-Fußabdruck eines Produkts über den gesamten Produktionszyklus („cradle to gate”) ausgetauscht werden: Die Übernahme  dezentralisierter Konzepte und Technologien ist ein Paradigmenwechsel im Vergleich zu den traditionellen Betriebs- und Geschäftsmodellen vergangener Jahrhunderte.

In einem Ökosystem gemeinschaftlich zu handeln und transparent zu arbeiten gelingt bisher nur wenigen Unternehmen. Dies gilt auch für die Art und Weise, in der Unternehmen Daten wahrgenommen und mit diesen interagiert haben. Lange Zeit wurden Informationen als Quelle für Macht und mögliche Einnahmen gesehen, die gehortet werden und hinter der Firewall des Unternehmens versteckt bleiben müssen.

Nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass sich dezentralisierte Technologien in einem frühen Stadium befinden. Dies führt zu einigen allgemeinen Missverständnissen, wie etwa dem, dass die Technologie zu viel Energie verbrauchen würde oder eine Lösung ohne Problem sei. Daher wird Blockchain oft nicht als zukunftsfähige Option zur Bewältigung geschäftlicher Herausforderungen betrachtet. Und das, obwohl die technischen Eigenschaften sie zu einer guten Wahl machen, wenn es darum geht, die Herausforderungen eines Ökosystems zu meistern.

Die richtige Strategie finden und nutzen

Die Höhe der Hürden kann anfangs lähmend und entmutigend wirken. Allerdings haben dezentralisierte Konzepte wesentliche Vorteile, wie etwa vertrauenswürdigen Datenaustausch, während gleichzeitig die Informationsautonomie gewahrt wird. Dies scheinen hervorragende Eigenschaften zu sein, um die Herausforderungen an eine systemische CO2-Nachverfolgung zu lösen. Es gibt konkrete Schritte, um zu beginnen und um auf dem Weg der Umsetzung immer mehr Erkenntnisse zu gewinnen.

  • Definieren Sie den Schwerpunkt des zu lösenden Problems und stellen sie ein klares Verständnis sicher. Es ist leicht, sich von den Möglichkeiten dieser Technologie mitreißen zu lassen. Wählen Sie für den Anfang ein einzelnes Szenario aus, wie CO2-Berichte für Komponenten, Supply Chain Execution oder Emissionszertifikate.
  • Identifizieren Sie Teilnehmer, die für ein umfassendes Szenario nötig sind (Definition des Ökosystems) und binden sie diese ein. Hierbei kann es sich um Lieferanten für Rohmaterialien, Hersteller von Komponenten oder auch Logistik-Dienstleister handeln. Stellen Sie sicher, dass der Mehrwert der Teilnahme für jeden formuliert wurde, um falsch ausgerichtete oder verzerrte Anreize zu vermeiden.
  • Entwerfen Sie ein Modell für die gemeinsame Zusammenarbeit, wie etwa Konsortien, um das Ökosystem zu organisieren und zu verwalten.
  • Entscheiden Sie sich auf Basis des Modells für eine dezentralisierte Technologie und Konzepte wie etwa die standardisierende Token-basierte Bilanzierung von CO2-Emissionen, Gutschriften und Kompensatation der InterWork Alliance.

Diese Schritte zeigen, dass Zusammenarbeit und Koordination mehrerer Parteien parallel zu der Implementierung der Technologie nötig sind. Es ist von Vorteil, mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die bereits Erfahrung haben und bei der Vermeidung der häufigsten Fehler helfen können.

Die Reduzierung der CO2-Emissionen ist eine der wichtigsten Herausforderungen unserer und zukünftiger Generationen. Die Nachverfolgung von CO2-Fußabdrücken ist ein wichtiger Schritt zur Lösung, da nur das getan wird, was vorher gemessen wurde. Gemeinsame Ökosystem-Maßnahmen – unterstützt durch dezentralisierte Technologien – sind der Schlüssel für eine gemeinsame CO2-Nachverfolgung bei gleichzeitigiger Begrenzung des Aufwands für die individuelle Integration und Governance.

[1] Dies beschreibt der World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) in seinem „Value Chain Carbon Transparency Pathfinder“

Wir danken Stefan Dittrich und Jean Bauer für ihren wertvollen Beitrag zu diesem Artikel.

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