In den vergangenen Jahren hat CAMELOT die Pharmadistribution in verschiedenen Regionen der Welt intensiv beobachtet, insbesondere in Nord- und Lateinamerika, Asien, Afrika und Russland. Dieser Blogbeitrag fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen und gibt einen Überblick über Trend und Entwicklungen in der globalen Pharmalogistik.

Eines der wichtigsten Ziele von Pharmaunternehmen ist die sichere und zuverlässige Lieferung von Medikamenten an ihre Patienten. Die Unternehmen sind jedoch mit stark variierenden Entwicklungsständen der Arzneimittelmärkte, unterschiedlichem Wachstumspotenzial der geografischen Regionen, uneinheitlichen Logistikinfrastrukturen sowie einer Vielzahl politischer und steuerlicher Vorgaben konfrontiert. Deshalb sind verschiedene, auf die jeweilige Region abgestimmte Ansätze in der Pharmadistribution wichtig und notwendig.

Marktchancen und -herausforderungen

Der weltweite Umsatz der Pharmaindustrie nimmt seit 2001 jedes Jahr beständig zu und erreicht heute 1,25 Billionen US-Dollar. Für den Zeitraum von 2020 bis 2027 wird außerdem ein weiterer Zuwachs um 4,6 Prozent erwartet. [1] Heute ist Nordamerika mit einem Gesamtumsatz von rund 523 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 [2] der größte Pharmamarkt. Während reife Märkte wie die USA und Europa gesättigt sind und Wachstum vor allem aus neuen Produkten und Services generieren, bieten Schwellenmärkte wie Lateinamerika, Asien und Afrika noch immer ein hohes Potenzial für Wachstum mit bestehenden Portfolios. Sie werden daher von Pharmaunternehmen genau beobachtet.

Pharmamarkt: Volumen und Wachstum 2019

Trotz dieser vielversprechenden Entwicklungen stellt die Pharmadistribution weiterhin eine große Herausforderung dar, mit je nach Region unterschiedlichen Marktrisiken und -problemstellungen. So leidet der US-Markt aufgrund fehlender staatlicher Preiskontrolle unter hohen Arzneimittelpreisen und beschränktem Zugang zu ausländischen Medikamenten. Regionen wie Lateinamerika, Afrika und Russland haben mit geopolitischen Risiken, Korruption und illegalen Medikamenten zu kämpfen. Außerdem gibt es auf dem afrikanischen Kontinent Probleme mit der Sicherheit sowie instabile politische Verhältnisse, und etwa 30 Prozent der Arzneiprodukte sind gefälscht [3]. Obwohl diese Herausforderungen klar erkennbar sind, gilt es dennoch eine detaillierte Analyse vorzunehmen, bevor Pharmaunternehmen in diese Märkte einsteigen.

Logistikanforderungen und Strukturen der Distributionsnetze

Neben generellen marktspezifischen Herausforderungen müssen auch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bereitstellung von Arzneimittel an die Endkunden sorgfältig geprüft werden. Ein zentrales Problem ist die häufig fragmentierte Basisinfrastruktur, insbesondere die Verfügbarkeit von See- und Flughäfen, Straßennetzen und geeigneten Lagerräumen. Dies fällt besonders ins Gewicht, wenn im Land selbst weite Entfernungen zurückzulegen sind, wie beispielsweise in den USA, in China oder Russland. Deshalb sind moderne Distributionsnetze eine Voraussetzung für eine Lieferung am Folgetag, wie sie im Pharmageschäft in der Regel angeboten wird.

Hinsichtlich der Basisinfrastruktur und der Distributionsnetze bestehen erhebliche Unterschiede. Während in reifen Märkten wie Nordamerika und Teilen der APAC-Region einschließlich Japan und Australien die allgemeine Distributionsinfrastruktur sehr gut entwickelt ist, sieht die Lage in anderen Regionen wie Afrika, APAC (einschließlich Indien und Indonesien) und sogar Russland anders aus. Löchrige Straßen, baufällige Flughäfen oder unzureichend ausgestattete Lagerhäuser sind hier noch immer anzutreffen und behindern häufig die effiziente, sichere und rechtzeitige Lieferung von Arzneimitteln. Da sich die Infrastruktur in diesen Regionen vor allem um Großstädte herum konzentriert, ist die Lage in ländlichen Gegenden noch schlimmer.

Die Reife der nordamerikanischen Infrastrukturen zeigt sich auch an der Struktur der bestehenden Distributionsnetze. Der Markt wird klar von drei Großhändlern dominiert – McKesson, Cardinal Health und AmerisourceBergen –, die über riesige Distributionsnetze mit Dutzenden von Lagerhäusern und spezialisierten Einrichtungen im ganzen Land verfügen, um nahezu jeden Bedarf der Pharmadistribution zu erfüllen und für den Großteil ihrer Kunden eine Lieferung am Folgetag zu ermöglichen. Der wichtigste Umschlagplatz für die Pharmadistribution ist New Jersey.

Außerhalb von Nordamerika und Europa gibt es verschiedene Regionen, deren Distributionsstrukturen erhebliche Probleme aufweisen. Beispielsweise wird die Distribution in Afrika oft von Großhändlern und mehreren Subunternehmen abgewickelt statt von Logistikanbietern. Dadurch werden die Prozesse und Mechanismen in diesen Märkten für Pharmaunternehmen intransparent. Daher sollte bei der Distribution nach Afrika möglichst eine Abhängigkeit von nationalen oder regionalen Großhändlern vermieden werden. Heute kann die Distribution in vielen Fällen über regionale Umschlagplätze in Südafrika und Dubai erfolgen, mit anschließendem Weitertransport auf der Straße. Dieses Vorgehen ist in den letzten Jahren einfacher und sicherer geworden.

Anders als in Afrika sind in Lateinamerika die Distributionsnetze zumindest in Ballungsräumen gut entwickelt. Die Belieferung ländlicher Gebiete bleibt jedoch schwierig, da zwischen den Ortschaften weite Entfernungen in oft schwierigem Gelände zurückzulegen sind. Hinzu kommt eine häufig instabile politische Lage. Daher sind in Lateinamerika oft spezielle nationale oder lokale Lösungen anzutreffen und nur eingeschränkte Kapazitäten und regionale Netzwerke vorhanden. So überrascht es wenig, dass die Pharmalogistik dort in der Regel ein lokales Distributionszentrum in nahezu jedem einzelnen Land und höhere Lagerbestände vor Ort erfordert. Viele Pharmaunternehmen liefern ihre Produkte direkt von der Produktionsstätte an die lokalen Lager, was mit hohen Luftfrachtkosten verbunden ist. Mit zahlreichen Flugverbindungen und einem beständigen Klima konnte sich Panama in den letzten Jahren als regionaler Umschlagplatz etablieren und auch Montevideo wird aufgrund der in Brasilien herrschenden Auflagen und Einschränkungen immer beliebter.

Wie in Afrika hängt die Distribution auch in Russland und weiten Teilen Asiens stark von nationalen und regionalen Großhändlern ab. Anders als Logistikanbieter sind diese nicht nur für Lagerung und Transport, sondern auch für die Vermarktung von Arzneimitteln verantwortlich. So sind in Russland zum Beispiel Puls, Protek und Katren die wichtigsten Großhändler, die mehr als 50 Prozent des russischen Marktes beliefern. Daher besitzen die meisten russischen Distributoren eigene Apothekenketten oder sogar eigene lokale Produktionsstätten, was die vertikale Integration zukünftig stärken dürfte.

Jüngste Entwicklungen und Ausblick

Die Pharmalogistik dürfte weiterhin von einer hohen Dynamik, Herausforderungen sowie von prozessualen, technologischen und betrieblichen Innovationen geprägt sein, während Abläufe und Strukturen an das Wachstum und die zunehmende Komplexität angepasst werden. Die Covid-19-Pandemie hat verdeutlicht, wie stark die globalisierte Welt von Lieferungen abhängt, vor allem aus China, und wie anfällig pharmazeutische Lieferketten noch immer sind. Die zeitweilige Schließung von Pharmawerken sowie fehlende Transportkapazitäten hatten erhebliche Engpässe bei der Lieferung von Sanitätsartikeln wie Schutzmasken und Einweghandschuhen, aber auch bei der Grundversorgung mit Arzneimitteln wie Kopfschmerztabletten zur Folge. Geschäftsstrategien zur Minderung von Risiken und der Anfälligkeit von Lieferketten wie „Nearshoring“, „Dual Sourcing“ und „Rightsizing“ von Lagerbeständen werden nun überall dort eingesetzt, wo es machbar und sinnvoll erscheint.

Auf längere Sicht wird es darauf ankommen, die Komplexität der globalen Produktions- und Distributionsstrukturen zu reduzieren und zugleich deren Flexibilität und Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, statt, wie bisher, vor allem auf Kosten und Service-Level zu achten. Mit Blick auf diese Geschäftsstrategien haben Pharmaunternehmen mit digitalen Zwillingen ihrer Produktions- und Distributionsnetze den Vorteil, dass sie geeignete Alternativen ermitteln und entwickeln können. Dies lässt sich mit agilen technischen Lösungen erreichen, die kontinuierliche Analysen bestehender Optionen und deren Auswirkungen selbst auf taktischer Ebene unterstützen. Wir sind fest davon überzeugt, dass solche Geschäftsstrategien einen grundlegenden Wandel für die Pharmaindustrie bewirken können und dass digitale Zwillinge entscheidend sein werden, um die globalen Herausforderungen für Produktion und Distribution zu meistern und die Barriere zwischen Netzwerkdesign und Supply-Chain-Planung zu beseitigen.

 

[1] Pharmaceutical Manufacturing Market Size Report, 2020–2027 (grandviewresearch.com)

[2] Umsatz der Top 10 Pharmamärkte weltweit in den Jahren 2015 bis 2019 | Statista

[3] Africa Renewal Mai 2013 – Counterfeit drugs raise Africa’s temperature; Pharm Pharmacol Int. J. 2015, 2(2): 00016

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