In den vergangenen Jahren haben viele Unternehmen erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Transparenz und Performance im Bereich Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung (Environmental, Social, Governance – kurz: ESG) zu verbessern. Es wurden viele Maßnahmen ergriffen, um auf die vorherrschende Klimakrise zu reagieren. Um jedoch dem Ausmaß der Herausforderungen Herr zu werden und Vorreiter in einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu werden, müssen Unternehmen die Nachhaltigkeit fest im Zentrum ihrer Geschäftsprozesse verankern, indem sie sich auf die Geschäftsprozesse und Entscheidungen mit den größten Hebeln konzentrieren und effektive Durchführungsmechanismen im Sinne von ESG umsetzen.

Wir befinden uns nun am Beginn des Jahres 2021 und die Dringlichkeit zur Veränderung wird überdeutlich: Der im Pariser Klimaabkommen vereinbarte maximale Temperaturantieg von 1,5 bis 2,0 °C wird bei Weitem nicht erreicht werden, wenn man den derzeitigen Stand der Erderwärmung und Maßnahmen extrapoliert. Die globale Durchschnittstemperatur im Jahr 2020 lag ungefähr 1,2 °C über dem Wert vor der Industrialisierung.[1] Szenariorechnungen zeigen, dass selbst zum Erreichen des 2 °C-Ziels die Kohlenstoffemissionen bereits heute ihr Maximum erreicht haben und von nun an drastisch sinken müssten.[2] Aus diesem Grund ist es für Unternehmen unerlässlich bis 2030 oder spätestens 2040 klimaneutral zu werden. In einem unserer vorherigen Artikel haben wir dazu einige Maßnahmen und Handlungsempfehlungen dargestellt.

Man kann sagen, dass wir bis jetzt zwei wichtige Dinge gelernt haben: Erstens: einige Maßnahmen stellen gute Ansätze dar, sind aber in der Summe eindeutig nicht schnell und entschieden genug. Zweitens: die ersten Auswirkungen des Klimawandels übertreffen die Erwartungen, wenn man sich beispielsweise die extremen Wetterereignisse oder die drastische Verringerung der Schneebedeckung in den arktischen Regionen ansieht.

Die Reduzierung der Emissionen im Zusammenhang mit Covid-19 in 2020 wird natürlich nicht zur Lösung dieser Probleme beitragen und nicht im Geringsten für eine Entschärfung sorgen. Die Emissionen haben sich trotz einer globalen Pandemie, verschiedener Lockdowns und geringeren wirtschaftlichen Aktivitäten über ca. 9 Monate im Jahr 2020 nur um 6,4 % reduziert.[3] Statt einem kleinen Tal bei den globalen Emissionen brauchen wir einen steilen und dauerhaften Abstieg auf den Nullwert. Dies veranschaulicht, wie groß die Herausforderung in der Zukunft sein wird.

Von der Nachhaltigkeitsagenda zur nachhaltigen Unternehmenstransformation

Wie können Sie Ihr Unternehmen angesichts dieser Herausforderungen optimal aufstellen, um eine führende Rolle in der kohlenstoffarmen Wirtschaft einzunehmen und eine nachhaltige Geschäfts- und Wertschöpfungskette auf agile und mutige Weise aufzubauen, die voll und ganz mit den Zielen des Pariser Abkommens übereinstimmt?

Abbildung 1: Von der Nachhaltigkeitsagenda zum nachhaltigen Management

Es liegt auf der Hand, dass die führenden Unternehmen der kohlenstoffarmen Wirtschaft mehr als nur ein Portfolio an ambitionierten Nachhaltigkeitsinitiativen umsetzen müssen, wie etwa Investitionen in erneuerbare Energien, ressourceneffiziente Betriebsabläufe und bahnbrechende Technologien. All dies sind zwar wichtige und wertvolle Beiträge, doch das Ausmaß der Klimakrise erfordert von den Unternehmen, einen entscheidenden Schritt weiter zu gehen, indem sie zu einem nachhaltigen Management übergehen: durch die feste Verankerung von Nachhaltigkeit in den wichtigsten Geschäftstätigkeiten und Entscheidungsfindungsprozessen, im Mittelpunkt der Unternehmensführung. Täglich werden in Unternehmen Entscheidungen getroffen, die einen Einfluss auf den Kohlendioxidausstoß und andere Aspekte im Bereich Umwelt und Gesellschaft haben. Und an diesem Punkt müssen wir den Fokus der Entscheidungsfindung erweitern – hin zu einer externen (gesellschaftlichen) Wertschöpfung. Die zukünftig führenden Unternehmen der CO2-freien Industrie behandeln Nachhaltigkeit nicht nur als Nebenschauplatz oder Portfolio von Maßnahmen, sondern berücksichtigen sie in den täglichen Prozessen und strategischen Entscheidungen. Sie lagern Entkarbonisierungsinitiativen nicht an die Nachhaltigkeitsabteilung aus, sondern machen sie zu einem integralen Bestandteil eines jeden Mitglieds im Managementteam.

 „Die Spitzenreiter der kohlenstoffreien Wirtschaft verankern Nachhaltigkeit und ESG fest in den täglichen Managementprozessen, vor allem in der strategischen Entscheidungsfindung“

Eine Blaupause für die Verankerung von Nachhaltigkeit im Kern des Unternehmens

Obwohl viele dem oben genannten Ziel zustimmen, brauchen wir etwas Konkreteres und Pragmatisches – einen durchführbaren Plan für die Verankerung von Nachhaltigkeit im Mittelpunkt der Geschäftsführung. Aufgrund unserer Erfahrung sowohl in der Geschäfts- und Wertschöpfungsstrategie als auch in der Nachhaltigkeit sind wir der Meinung, dass Unternehmen ein nachhaltiges Managementsystem mit dem richtigen Fokus sowie mit Durchsetzungsmechanismen, Kennzahlensystemen und Betriebsmodellen als Leitprinzipien benötigen:

  • Fokus auf wichtige Geschäftsprozesse und Entscheidungen mit der größten Auswirkung auf ESG
  • Durchführungsmechanismen, mit denen ESG-Kriterien in Abhängigkeit von den Nachhaltigkeitszielen des Unternehmens in der Szenario-Bewertung und Entscheidungsfindung berücksichtigt werden
  • Kennzahlensysteme, die das Leistungsmanagement um ESG-bezogene Metriken erweitern (Leistung nach dem Triple-Bottom-Line-Modell)
  • Betriebsmodelle, die die Nachhaltigkeit in den wichtigsten Geschäftsbereichen in einer Art Selbstverwaltung integrieren, mit starkem Fokus auf das Miteinander, Lernen und Ökosysteme

Im ersten von zwei Artikeln werden wir die Geschäftsprozesse und -entscheidungen darstellen, die den größten Einfluss auf ESG haben, sowie die wichtigsten Durchführungsmechanismen beschreiben, die für die Verankerung von Nachhaltigkeit erforderlich sind.

Fokus auf Geschäftsprozesse und Entscheidungen mit der größten Auswirkung auf ESG

Unternehmen benötigen einen pragmatischen und fokussierten Ansatz, um Nachhaltigkeit an den Stellen in die täglichen Prozesse zu integrieren, wo es am wichtigsten ist. Statt Perfektion brauchen wir einen 80/20-Ansatz, der jene 20 % aller strategischen Managementprozesse, die 80 % der Emissionen verursachen, in Richtung CO2-Freiheit bringt.

Basierend auf unserer Erfahrung bestimmen fünf wichtige Managemententscheidungsprozesse mittel- bis langfristig in der Regel mehr als 80 % der CO2-Emissionen eines Unternehmens. In erster Linie müssen diese Prozesse verbessert werden, um die Transparenz der gesellschaftlichen Auswirkungen, eine ausgewogene Entscheidungsfindung sowie Anreizmechanismen, einschließlich Nachhaltigkeitszielen, zu verbessern:

  • Business Canvas und Strategie
  • Strategische Planung und Portfoliomanagement
  • CAPEX-Planung
  • Design des Liefernetzwerks und der Wertschöpfungskette
  • Lieferantenstrategie und Partnerqualifikation

Abbildung 2: Auswirkung der wichtigsten Managementprozesse auf den CO2-Fußabdruck

Durchführungsmechanismen für eine feste Verankerung von ESG-Managementprozessen

Um die ESG-Aspekte erfolgreich in die wichtigen Managementprozessen zu integrieren, müssen Unternehmen konsequent ihre Arbeitsweise umstellen. Die ESG-Integration ist nicht nur eine simple Ergänzung oder ein einfacher Tagesordnungspunkt, sie erfordert ein neues Bewusstsein, Investitionen, Kompetenz, Tools und Prozesse sowie Kooperationsfähigkeiten, und zwar nicht nur von der Geschäftsführung, sondern auch von den CFOs, Unternehmens-Controllern, Betriebsleitern, den Leitern für Strategie und Geschäftsentwicklung sowie Beschaffung und deren jeweiligen Teams. Abbildung 3 gibt einen Überblick über die wichtigsten Ansätze und Durchführungsmechanismen, die einen Unterschied bei der Transformation der fünf entschidenden strategischen Managementprozesse mit dem größten Einfluss auf die Nachhaltigkeit bewirken.

Abbildung 3: Durchführungsmechanismen für die ESG-Integration in den wichtigsten strategischen Managementprozessen

Nichts davon ist übermäßig komplex, sondern basiert größtenteils auf bestehenden Management-Tools und -Ansätzen. Dafür sind jedoch fundamentale organisatorische Änderungen erforderlich, um das Management-Team auszurichten und das notwendige Vertrauen und Know-how aufzubauen. Nachfolgend ein paar Beispiele.

Die strategische Geschäftsplanung muss den Fokus erweitern, um ESG-bezogene Themen ins Zentrum der Entscheidungsfindung zu rücken. Dazu gehört die Einführung von Ansätzen, beispielsweise eines nachhaltigen Business Canvas[4], der einen systematischen Ansatz für die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsprinzipien und externer (gesellschaftlicher) Wertschöpfung im Innovationsprozess des Geschäftsmodells bietet. Gleichsam muss die strategische Planung des bestehenden Produktportfolios die ESG-Performance der verschiedenen Portfoliosegmente berücksichtigen, um systematisch Ziele für die Steigerung des Anteils von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen zu setzen, und wertvolle Ressourcen wie R&D, Vertrieb und Marketing sowie Investitionen entsprechend zu verteilen. Dies kann beispielsweise anhand von Portfolio Sustainability Assessment (Methode zur Nachhaltigkeitsbewertung des Portfolios, PSA) gemäß dem World Business Council for Sustainable Development (WBCSD)[5] erfolgen, das von vielen internationalen Unternehmen, insbesondere globalen Akteuren im Chemiebereich, bereits erfolgreich angewendet wurde.

Ebenso wichtig ist es, die CAPEX-Planung hinsichtlich der Nachhaltigkeitsintegration erheblich zu überarbeiten. Der Bereich, der die meiste Aufmerksamkeit erfordert, ist die Planung und das Management von Investitionen. Diese sind für die CO2-Reduzierung von großer Bedeutung, und zwar durch Investitionen in Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Energien in den kommenden 3 bis 5 Jahren. Investitionen haben folglich in den zwei kritischen Dekaden bis 2030 und 2040 einen überproportionalen Einfluss auf die CO2-Emissionen. Die Ansätze beinhalten eine systematische Bewertung der ESG-Auswirkungen über das gesamte CAPEX-Portfolio, die als vereinfachte Bewertung für kleine und mittlere Investitionsprojekte und als umfangreicheres Lifecycle Assessment (LCA) für große Projekte durchgeführt werden kann. Dies ist die Grundlage für eine systematische Analyse und Simulation, inwieweit das CAPEX-Portfolio im aktuellen Genehmigungsprozess die Nachhaltigkeitsziele und den Verlauf effektiv unterstützen wird. Zudem können Verfahren wie das Accounting for Sustainability Program[6] (Berücksichtigung der Nachhaltigkeit) angewendet werden, um Nachhaltigkeit in den Investitionsbewertungsprozessen und im CAPEX-Management fest zu verankern.

Um die Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt des Managements zu stellen, ist dies jedoch nicht ausreichend. Die Durchführungsmechanismen müssen um pragmatische und ausgewogene Leistungsmanagementsysteme und ein Betriebsmodell ergänzt werden, die die Nachhaltigkeitsprinzipien in der gesamten Organisation integrieren. In unserem zweiten Artikel werden wir diese zwei Aspekte näher beleuchten.

[1] https://uol.de/f/2/dept/wire/fachgebiete/innovation/en/download/Manual_Sustainable_Business_Canvas__EN.pdf

[2] https://www.wbcsd.org/Projects/Chemicals/Resources/Framework-for-portfolio-sustainability-assessments

[3] https://www.accountingforsustainability.org/en/index.html

[4] https://news.un.org/en/story/2020/12/1079042

[5] Siehe Christiana Figueres et al.: Three years to safeguard our climate. In: Nature. Band 546, 2017, S. 593–595.

[6] https://www.nature.com/articles/d41586-021-00090-3

Wir danken Florian Kreitz für seinen wertvollen Beitrag zu diesem Artikel.

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Nachhaltigkeit in die Wertschöpfungskette integrieren: Fünf Wege

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