Wie funktioniert eine parametergesteuerte Wertschöpfungskette und welche Vorteile bietet sie?

In unserem ersten Artikel haben wir erklärt, warum eine parametergesteuerte Wertschöpfungskette zukunftsweisender ist und besser funktioniert als eine herkömmliche, auf hierarchische Planung konzentrierte Wertschöpfungskette – ob mit oder ohne neueste technologische Verbesserungen wie Künstliche Intelligenz (KI) oder Maschinelles Lernen (ML). Der Grund für unsere Überzeugung besteht darin, dass die parametergestützte Verknüpfung der Wertschöpfungskette über Stufen und Zeithorizonte hinweg zahlreiche Vorteile gegenüber der Durchführung vieler Einzelpläne hat.

Im folgenden Artikel gehen wir noch tiefer auf die Funktionsweise einer parametergesteuerten Wertschöpfungskette ein und erläutern, welche Vorteile Sie erwarten können.

Es ist nur dann notwendig, eine Entscheidung einer niedrigeren  Ebene an eine Entscheidung einer höheren Ebene anzupassen, wenn die Entscheidung der niedrigeren Ebene die zulässigen Grenzen verlässt. Die Folge: Die Teile der Wertschöpfungskette können innerhalb der Grenzen der Parametrisierung wie selbstregulierende Regelkreise eigenständig arbeiten. Abgesehen von Ausnahmesituationen sind die Stufen und Zeithorizonte synchron. Die Pläne müssen nicht immer wieder angepasst werden, um sie unter Kontrolle zu halten.

Im folgenden Abschnitt werden die kritischen Aspekte der parametergesteuerten Planung und ihre Vorteile erläutert.

Parametergesteuerte Planung schafft Transparenz

In der traditionellen Planung konnte niemand außer dem erfahrenen Planer sagen, ob ein Auftrag rechtzeitig bearbeitet werden würde oder nicht. Niemand sonst hatte die nötige Erfahrung, um den Plan sinnvoll zu interpretieren. Bei der parametergesteuerten Planung wird das Bild viel klarer. Es ist nicht erforderlich, Aufträge entlang der Wertschöpfungskette zu verfolgen und die Auswirkungen des nächsten Planungslaufs zu antizipieren. Stattdessen ist nur die Integrität geeigneter Puffer (Zeit, Kapazität, Inventar) von Bedeutung. Solange die Puffer intakt sind, sind die Vorlaufzeiten zwischen den Stufen stabil, und die Zielerreichung ist gewährleistet. Außerdem  sind die Auswirkungen einer Parameteränderung (wie Vorlaufzeiten und Pufferniveaus) sofort klar – man muss sich nicht fragen, wie sich die Verschiebung eines Auftrags auf die anderen auswirken wird.

Wie der Fokus auf den Fluss sicherstellt, dass aus der Summe der Teile ein Ganzes wird

Lean Production, DDMRP und die Theory of Constraints (ToC) haben unter anderem Folgendes gemeinsam: Sie legen den Fokus auf einen kontinuierlichen Materialfluss. Aber wie hilft der Materialfluss bei der Planung? Und welche Rolle spielt dabei die parametergesteuerte Planung?

Lean Production: Angebot und Nachfrage durch das Herstellen von “Losgröße 1” balancieren

Lean Production (auch Just in Time, JIT) legt den Fokus auf folgende Elemente, die einen reibungslos fließenden Produktions- und Nachschubprozess erzeugen und Angebot und Nachfrage in Einklang bringen. Dabei stellen die Anpassung der Produktion an die Geschwindigkeit der Kundennachfrage und die Implementierung eines Pull-Systems zentrale Aspekte dar.

Die Anpassung der Produktion an die Geschwindigkeit der Kundennachfrage wird in Taktzeiten entlang der Wertschöpfungskette übersetzt. Die Einhaltung dieser Taktzeiten und damit des Flusses stellt die Arbeitsorganisation und das Produktdesign vor Herausforderungen. Außerdem erfordert sie eine entsprechende Anordnung und Dimensionierung der Puffer. Andernfalls kann die Lieferkette möglicherweise nicht auf die Kundennachfrage und deren Schwankungen reagieren. Ein Nachteil der Lean Production besteht darin, dass sie für eine systematische Anordnung und Dimensionierung von Pufferbeständen keine systematischen Werkzeuge bietet. Daher ist es nicht einfach, die Größe der Puffer zu ändern und sie an Nachfrageschwankungen anzupassen, die aufgrund von Saisonalität, Werbeaktionen, Bedarfsspitzen oder  des Produktlebenszyklus auftreten. Die Produktionsglättung, ein zentraler Bestandteil von Lean Production, kann bei schwankender Nachfrage zur Herausforderung werden.

Die Implementierung eines Pull-Systems ist entscheidend, um sicherzustellen, dass Angebot und Nachfrage ausbalanciert sind. Dazu kann ein Kanban- oder Auftragsfertigungssystem eingerichtet werden.  Um Puffer angemessen zu dimensionieren, nutzt Kanban eine jeweils angepasste Kanbankartenanzahl.

Bedarfsgesteuerte Materialbedarfsplanung (DDMRP):  Entkopplung stellt Warenfluss und realisierbare Pläne sicher

Bei der bedarfsgesteuerten Materialbedarfsplanung (Demand-driven Material Requirements Planning, DDMRP) wird die Wertschöpfungskette an kritischen Punkten entkoppelt. So ergeben sich kleinere Abschnitte, wobei diese durch Bestandspuffer entkoppelt und gleichzeitig verbunden werden. Die Entkopplung erfolgt aus verschiedenen Gründen. Gemeinsam haben alle, dass sie den Warenfluss unterstützen: Stabilisierung der Vorlaufzeiten, Verkürzung der Vorlaufzeiten zwischen verschiedenen Stufen, Schutz von Engpassressourcen (fehlende Versorgung oder Blockaden) und Synchronisierung des Warenflusses. Klare Regeln leiten die Parametrisierung, also die Berechnung der Inventarpuffer, unter Berücksichtigung von Nachfrage- und Angebotseigenschaften wie Variabilität und Vorlaufzeit.

Da auf diese Weise eine komplexe, aus mehreren Stufen bestehende Kette in entkoppelte Segmente zerlegt wird, werden Vorlaufzeiten stabiler, Ergebnisse vorhersagbarer und die Wahrscheinlichkeit, dass Plan und Realität übereinstimmen, steigt an.

Um einen umfassenderen Überblick über DDMRP zu erhalten, lesen Sie unbedingt Markus Kuhls Artikel „Warum es jetzt an der Zeit ist, die Lieferkettenplanung zu verändern“.

Theory of Constraints: Strukturierter Ansatz zur Vermeidung von Engpässen in der Wertschöpfungskette

Der Kern von Theory of Constraints (ToC) besteht darin, Engpässe eines Systems zu erkennen, Vorgänge am Engpass auszurichten und Engpassbeschränkungen zu beseitigen. In einer Produktionsumgebung folgt die Synchronisation dem sogenannten Drum-Buffer-Rope (DBR)-Prinzip. Der Engpass und sein Durchsatz bestimmen den Trommelschlag (Drum Beat). Das Erkennen des Engpasses, das Überwachen der Auslastung und das gemeinsame Einrichten der Puffer folgen einem parametergesteuerten Ansatz.

Im Gegensatz zu rein parametergesteuerten Ansätzen folgt die anschließende Unterordnung weiterer Prozesse und Prozessschritte keinem Schema. Der Fluss wird jedoch verbessert. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die Planung ihre Relevanz behält, da es viel wahrscheinlicher ist, dass Ausführung und Planung übereinstimmen.

Bestandsinvestitionen effizienter nutzen: Reduzieren Sie den Peitscheneffekt und sorgen Sie für planbare Ergebnisse

Der Begriff „Peitscheneffekt“ (auch Bullwhip-Effekt) beschreibt, wie sich die Variabilität über vorgelagerte Stufen einer Wertschöpfungskette aufschaukelt, obwohl die nachgelagerte Kundennachfrage relativ stabil ist. Ein Ansatz zur Reduzierung dieses Effekts besteht darin, die Stufen der Wertschöpfungskette zu entkoppeln. Bestände, zusätzliche Kapazität oder Flexibilität wirken als Stoßdämpfer und erleichtern die Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette. Dadurch verringert sich der Peitscheneffekt meist erheblich.

Die Entkopplung ist ein wesentlicher Bestandteil von Lean Kanban, ToC und DDMRP. Die veränderte Rolle der Prognose in DDMRP trägt ebenfalls zur Dämpfung des Peitscheneffekts bei: Prognoseänderungen wirken sich nicht mehr direkt auf die Pläne der nachgelagerten Lieferkettenstufen aus, sondern nur noch indirekt über die Änderung der Puffergröße. Üblicherweise erhöht eine solche Änderung der Puffergrößen die Variabilität weit weniger stark, da die Puffergrößen im Normalfall nicht sofort angepasst werden.

Bestands- und Flexibilitätspuffer können somit ihren ursprünglichen Zweck erfüllen: Dämpfung von Schwankungen in der Kundennachfrage anstelle der selbst erzeugten Variabilität.

Darüber hinaus sorgt bereits ein genau definierter, auf Fakten basierender Puffergrößenmechanismus dafür, dass die Puffer robuster und effizienter werden. Ein verbesserter Puffergrößenmechanismus macht Ihre Wertschöpfungskette in Bezug auf Service Level und Bestand effizienter. Mit seiner parameter- und regelbasierten Pufferberechnung ist DDMRP in dieser Hinsicht weiter fortgeschritten als die Lean Production, obwohl beide die gleichen Hebel nutzen. DDMRP, ToC und Lean Kanban setzen alle den Fokus auf den Schutz des Engpasses durch eine Reduzierung der Variabilität. DDMRP bietet jedoch außerdem einen umfassenderen Ansatz zur Bestimmung der Art und Weise, in der entkoppelt werden soll.

Trennen Sie die Konfigurations-, Planungs- und Ausführungsebenen und vermeiden Sie die permanente kurzfristige Krisenbekämpfung

Die parametergesteuerte Planung bildet die Grundlage für optimierte Betriebsmodelle. Der Grund: Sie unterscheidet klar zwischen der Parameterkonfiguration und der Ausführung anhand der parametrisierten Regeln, beispielsweise der Pufferauffüllung. Diese Unterscheidung ermöglicht die E2E-Synchronisierung: Es ist schließlich viel einfacher, die taktische Konfigurationsschicht auszurichten als eine Sammlung von Plänen auf verschiedenen Ebenen aufeinander auszurichten und anzupassen. Die operative Ausführung bewegt sich dabei innerhalb der Grenzen der konfigurierten Kontrollbereiche. Notfallmaßnahmen zur Krisenbekämpfung reduzieren sich auf die Behandlung von vorab festgelegten Ausnahmen bzgl. des Normalzustands, der durch die Einhaltung der konfigurierten Parameter, Bereiche und Regeln festgelegt wurde.

Auch die Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen Konfiguration und Ausführung führt unweigerlich zu differenzierten Planungsrollen und geeigneten Organisationsmodellen, beispielsweise einer Unterscheidung zwischen zentraler und dezentraler Planung und der Implementierung von Planungskompetenzzentren.

Insgesamt bietet die Trennung von Konfigurations- und Ausführungsaktivitäten die Möglichkeit, den Aufwand durch Spezialisierung und Automatisierung zu reduzieren und den Aufwand für Notfallmaßnahmen erheblich zu verringern.

Fazit

Die parametergesteuerte Wertschöpfungskette unterscheidet sich erheblich von der herkömmlichen Planung. Parameter verbinden die Wertschöpfungskette, was zu E2E-Sichtbarkeit und -Transparenz führt. Außerdem ist es nicht mehr erforderlich, viele komplizierte und detaillierte Pläne zu handhaben. Der Schwerpunkt liegt auf der Schaffung eines Flusses, der besseren Nutzung von Engpasskapazitäten und der Reduzierung des Peitscheneffekts. Unternehmen können daher vom Übergang zur parametergesteuerten Wertschöpfungskette stark profitieren.

Im nächsten Artikel werden wir detaillierter darauf eingehen, wie die parametergesteuerte Wertschöpfungskette die in diesem Text vorgestellten Vorteile ermöglicht.

Lesen Sie mehr:

Die parametergesteuerte Wertschöpfungskette, Teil I
Die parametergesteuerte Wertschöpfungskette, Teil III

Wir möchten Sebastian Hild für seinen wertvollen Beitrag zu diesem Artikel danken.

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