Was wir aus der Corona-Pandemie für den Kampf gegen den Klimawandel lernen können und warum es jetzt an der Zeit ist, sich auf eine klimaneutrale Zukunft vorzubereiten.

Die Coronakrise hat uns auf beeindruckende Weise gezeigt, dass wenn es sein muss, unsere Gesellschaft erstaunlich schnell und entschlossen handeln kann, um Leben und Gesundheit zu schützen. Zusammen mit der nie dagewesenen Solidarität und dem Zusammenhalt von Privatpersonen wie Unternehmen macht das Hoffnung für die Zukunft. Der Aufruf „Flatten the curve“ ist auf unterschiedlichen Ebenen zum Symbol einer weltweit geschlossenen wissenschaftlichen Herangehensweise und Solidarität geworden. Die aktuelle Krise hat unsere Aufmerksamkeit aber auch auf kritische Systemkapazitäten gelenkt, genau wie auf die Tatsache, dass es zu Instabilitäten und zahlreichen ungewollten Übertragungs- und Welleneffekten führen kann, wenn wir diese kritischen Kapazitäten ausreizen oder sogar überschreiten: Ein gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie Staaten und Nationen derzeit um Zugang zu lebenswichtigen medizinischen Produkten wie Beatmungsgeräten und Schutzausrüstung kämpfen.

Werden wir also in der Lage sein, einige der Erkenntnisse, die wir im Umgang mit der COVID-19-Krise gewonnen haben, auch auf das Problem des Klimawandels anzuwenden? Diese beiden Probleme weisen auf den ersten Blick gleich mehrere Ähnlichkeiten auf. Zum Einen herrscht innerhalb der wissenschaftlichen Community ein klarer Konsens hinsichtlich der Schwere beider Probleme und der Notwendigkeit unverzüglicher Maßnahmen. Zum anderen können wir die Kapazität unserer Erde, weitere Mengen an CO2-Emissionen aufzunehmen, ohne dass sich daraus ein unumkehrbarer Klimaschaden ergibt, als genauso begrenzt ansehen wie die Kapazität unserer Gesundheitssysteme vor dem Hintergrund der Coronakrise. Diese noch verbleibende Kapazität liegt derzeit bei weltweit insgesamt 322 Gigatonnen CO2-Äquivalenten, wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau begrenzen wollen[1]. Sollten wir das Niveau unserer derzeitigen Emissionen nicht senken, bleiben uns ab Mai 2020 noch 7,5 Jahre, bis die Grenze von 1,5 °C überschritten ist.

Natürlich hat es Gründe, warum die Klimakrise bisher nicht dieselbe Entschlossenheit und rasche Reaktion hervorgerufen hat, wie wir sie in der Corona-Pandemie erleben. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Auswirkungen des Klimawandels wesentlich komplexer, gradueller und untereinander verflochtener sind und von vielen als weniger unmittelbare Bedrohung mit häufig unklaren direkten persönlichen Konsequenzen wahrgenommen werden. Dennoch sind wir der Meinung, dass Unternehmen aus der aktuellen Situation lernen und neue und entschlossenere Strategien finden müssen, um die Nachhaltigkeit ihrer Wertschöpfungsketten zu verbessern. Unserer Ansicht nach sollten sich die Unternehmen dabei an fünf wichtigen Schritten orientieren, um ihre Sustainability-Strategien voranzutreiben und echte Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel zu werden:

  • Greifbare Transparenz des CO2-Fußabdrucks für Entscheidungsträger
  • Strategische Szenarioplanung mit Fokus auf Nachhaltigkeit
  • Bepreisung von Emissionen als Handlungs- und Kreativitätsanreiz
  • Unkonventionelle Ansätze zum Abflachen der Kurve
  • Einbeziehung von Mitarbeitenden und externen Partnern, um wirklich etwas zu bewirken

Transparenz des CO2-Fußabdrucks für Entscheidungsträger

In den letzten Jahren haben Unternehmen im Hinblick auf die Transparenz ihres CO2-Fußabdrucks bereits Fortschritte gemacht, wie an vielen Nachhaltigkeitsberichten und der Zugkraft freiwillig veröffentlichter Informationen wie beispielsweise im Carbon Disclosure Project zu sehen ist. Unserer Ansicht nach muss man aber leider auch sagen, dass Nachhaltigkeitskennzahlen nach wie vor nicht in ausreichendem Maße in die tägliche Planung und Entscheidungsfindung innerhalb der Wertschöpfungskette von Unternehmen einbezogen werden. CO2-Emissionen und andere Werte im Bereich Sustainability müssen im Geschäftsalltag stärker Berücksichtigung finden, vom Reporting im Allgemeinen bis hin zur Ausarbeitung verwertbarer Informationen für alle Entscheidungsträger der gesamten Wertschöpfungskette. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist mehr Transparenz im Hinblick auf den CO2-Fußabdruck durch entsprechende Analysen und ein leichterer Zugang zu Emissions- und Energienutzungsdaten für Führungskräfte in gewerblichen Niederlassungen, Geschäften, Produktionsstätten und bei Lieferanten. Nur mit dieser Art von Transparenz kann Nachhaltigkeit Einzug in die Entscheidungsfindung in den Bereichen Strategie, Beschaffung, Fertigung und Lieferkette halten, sodass die Anwender innerhalb der Wertschöpfungskette entsprechende Ziele definieren und Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen können.

Strategische Szenarioplanung mit Fokus auf Nachhaltigkeit

Das oben erwähnte, uns weltweit noch verbleibende CO2-Budget und die zunehmende Häufigkeit von Katastrophen (z. B. Waldbrände, Dürren, sommerliche Hitzewellen) machen sehr deutlich, dass die Auswirkungen des Klimawandels auch heute schon spürbar sind und daher in der mittel- und langfristigen strategischen Planung jedes Unternehmens eine wichtige Rolle spielen sollten. Dennoch setzen bisher nur 42 % aller im Rahmen des Carbon Disclosure Project[2] befragten Unternehmen auf eine klimabezogene Szenarioplanung, und die meisten davon beschränken sich dabei auf qualitative Bewertungen. Die klimabezogene Planung muss sich jedoch von einer reinen Umweltschutzfunktion zu einer Schlüsselkomponente der Unternehmensstrategie entwickeln. Quantitative klimabezogene Szenarien müssen unter anderem für die Ausarbeitung von Geschäftsstrategien, die Planung der Wertschöpfungskette und die CAPEX-Planung herangezogen werden. Das gilt nicht nur für eine Folgenabschätzung der Energie-/CO2-Besteuerung und regulatorische Entwicklungen, sondern betrifft auch Szenarien in Bezug auf klimabezogene Risikoereignisse und veränderte Entscheidungsmuster bei Verbrauchern, Investoren, Geschäftspartnern und anderen wichtigen externen Stakeholdern.

Bepreisung von Emissionen als Handlungs- und Kreativitätsanreiz

Umweltfragen und Treibhausgasemissionen waren in der Vergangenheit in der Regel externe Faktoren, die nichts mit der Finanzleistung von Unternehmen zu tun hatten. Das ändert sich mittlerweile aufgrund von politischen Maßnahmen wie dem europäischen Emissionshandel oder einer CO2-Besteuerung, die in vielen Ländern eingeführt wird. Dennoch sind die bestehenden externen Signale zur Preisbildung häufig nicht ausreichend, um Unternehmen ernsthaft dazu zu bewegen, den Weg hin zu einer kohlenstoffoptimierten Wirtschaft mit Elan zu beschreiten. Um eine stärkere Zugkraft zu entwickeln, sollten mehr Unternehmen darüber nachdenken, auch innerhalb ihrer Wertschöpfungskette eine interne Bepreisung von Kohlenstoffemissionen einzuführen. Um in der Beschaffung, in Anlageninvestitionsprojekten und operativen Entscheidungen innerhalb der Wertschöpfungskette und im gewerblichen Bereich einen Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie zu schaffen, können Kohlenstoffbepreisung oder andere Anreizmechanismen eingeführt werden – z. B. Mittel zur Förderung von Maßnahmen zur Kohlenstoffreduktion durch Lieferanten.

Die Kohlenstoffbepreisung ist ein wichtiges Konzept, das an Zugkraft gewinnt, aber immer noch ein erhebliches Entwicklungspotenzial birgt. In seinem Bericht zur Kohlenstoffbepreisung vom Oktober 2017 zählte das Carbon Disclosure Project 600 Unternehmen, deren Geschäftspläne eine interne Kohlenstoffbepreisung enthalten, ein Anstieg um das Vierfache innerhalb von drei Jahren[3]. Ebenso interessant: Das Carbon Pricing Dashboard der Weltbank zeigt mittlerweile viele regionale, nationale und subnationale Initiativen zur Kohlenstoffbepreisung weltweit, die rund 21 % der globalen Emissionen abdecken[4]. Hier gibt es also sowohl auf Unternehmens- als auch auf Regierungsseite noch viel Raum für Verbesserung.

Unkonventionelle Ansätze zum Abflachen der Kurve

Unternehmen müssen mutig denken und ihren individuellen Weg zur Klimaneutralität festlegen, mit dem Zwischenziel 2030 (Zeitfenster auf Basis des verbleibenden Kohlenstoffbudgets) und bis 2040 (Vision für eine klimaneutrale Zukunft). Wir müssen uns bewusst werden, dass Einzelmaßnahmen das Problem nicht lösen können: Weder eine radikale Verhaltensänderung noch Investitionen in neue, bahnbrechende Technologien können zum alleinigen Retter werden. Unternehmen müssen daher ganzheitlich denken und ein breites Portfolio an Maßnahmen zum Einsatz bringen. Diese Maßnahmen können wir in vier große Kategorien einteilen:

  • Intelligentes und nachhaltiges Handeln: Steigerung des Arbeitsanteils im Homeoffice, intelligente Planung von Geschäftsreisen (mit einem entsprechend sinnvollen Verhältnis zwischen Besprechungs- und Reisezeit, ansonsten Nutzung virtueller Kommunikationsmöglichkeiten), Vermeidung von Verschwendung im Hinblick auf Material, Verbrauchsgüter, Catering.
  • Ressourceneffizienz und Kreislaufnutzung: Prozessentwicklung und -optimierung, Wiederverwendung und Kommerzialisierung der eigenen Prozessabfälle, Sammlung und Wiederverwendung von Prozesswärme, Anreize für eine Produktbeschaffung mit einem hohen Anteil von Kreislaufmaterialien, Recycling von Konsumgütern wie Haushaltsgeräte und Elektronik, Sharing-Konzepte, Energieeffizienz durch effiziente Geräte, Isolierung, Standortkonzeption, Nutzungssteuerung und Analyse.
  • Nutzung bestehender Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien: maximale Nutzung bestehender Technologien wie Wind- und Solarkraft sowie Biogas mit Hilfe eigener Anlagen und Upgrades oder andernfalls über Stromabnahmeverträge, begleitet von Investitionen in die Energiespeicherung und Power-to-X-Technologien (z. B. Power to Gas, Power to Steam, Flüssigsalz-Energiespeicher, Batterietechnologie).
  • Investition in neue, bahnbrechende Technologien: Investition in neue, potenziell bahnbrechende Technologien, die derzeit für eine Massennutzung noch nicht reif sind oder noch langfristige Infrastrukturinvestitionen erfordern, z. B. die Nutzung von grünem Wasserstoff in Kraftwerken oder Brennstoffzellen, Kohlenstoff-Abscheidung und Speicherung oder Anwendung in der Landwirtschaft.

Unternehmen brauchen ihre eigenen maßgeschneiderten Nachhaltigkeitsstrategien, die anhand einer Reihe von Maßnahmen die Klimaauswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit mit den entsprechenden OPEX- und CAPEX-Folgen in Einklang bringen. Während viele der CO2-Maßnahmen erhebliche Investitionen erfordern und zu erhöhten Kosten führen, können andere auch dazu beitragen, Kosten zu senken und Geldmittel für die Investition in eine nachhaltigere Wertschöpfungskette freizusetzen.

Einbeziehung von Mitarbeitern und externen Partnern

Ihr Weg zur Klimaneutralität ist ein echtes Teamprojekt und mehr als 80 % des Erfolgs basieren auf dem Engagement Ihrer Mitarbeitenden und externen Partner. Umfragen zeigen auf beeindruckende Weise den heutigen Stellenwert von Umweltschutz und Nachhaltigkeit; gerade für die jüngeren Generationen (Generation Z und Millennials) wird Nachhaltigkeit mehr und mehr zu einer nicht verhandelbaren Bedingung.[5] Was aber noch wichtiger ist: Ihr Team in den gesamten Prozess von der Ideensammlung über die Ausarbeitung der Strategie bis hin zur Umsetzung mit ins Boot zu holen, kann Ihnen auf Ihrem Weg zur Klimaneutralität eine erhebliche Dynamik verleihen und ganz neue Energien und Kräfte freisetzen.

Ebenso wichtig sind effektive Ansätze, um Ihre externen Lieferanten und Partner zu einem wesentlichen Bestandteil Ihrer Nachhaltigkeitsbemühungen zu machen. Abhängig von den Strukturen der jeweiligen industriellen Wertschöpfungsketten und dem entsprechenden Outsourcing-Anteil machen Emissionen durch die externe Beschaffung (Scope 3-Emissionen) einen Anteil von 50 bis 90 % des gesamten CO2-Fußabdrucks aus, bei Anbietern von Konsumgütern sogar bis zu 95 %. In die Beschaffungsstrategien und Routinen von Lieferantenmanagern müssen daher effektive Maßnahmen zur Gewährleistung der Emissionstransparenz von Lieferanten, Zielsetzungen, Wissensaustausch sowie Incentivierung und Sanktionsmechanismen integriert werden.

Indem sie ihre Wertschöpfungsketten klimaneutral machen, können Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zum weltweiten Kampf gegen den Klimawandel leisten, schneller neue Geschäftsmodelle auf den Markt bringen und sich ihren Wettbewerbsvorteil für die Zukunft sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie Nachhaltigkeit jedoch als einen wesentlichen Teil ihrer operativen und strategischen Entscheidungsfindung begreifen, eine ganzheitliche und ambitionierte Strategie zur Erreichung der Ziele für 2030/2040 festlegen und ihre Mitarbeiter und externen Partner überzeugen, mit ihnen auf dem Weg zu einer grünen E2E-Wertschöpfung an einem Strang zu ziehen.

Wenn Sie weitere Informationen zu diesem Thema wünschen, besuchen Sie unsere Website GreenMind2 oder kontaktieren Sie uns persönlich.

Folgenden Teammitgliedern von CAMELOT GreenMind2 möchten wir für ihren wertvollen Beitrag zu diesem Artikel danken: Georg Bienert, David Dickmann, Anton Köther, Kilian Lück, Jonas Rethmann, Brita Rohrbeck.

[1] Mercator Research Institute; https://www.mcc-berlin.net/en/research/CO2-budget.html

[2] CDP Global climate change analysis 2018; https://www.cdp.net/en/research/global-reports/global-climate-change-report-2018

[3] CDP, Putting a price on carbon, Oktober 2017

[4] https://carbonpricingdashboard.worldbank.org/

[5] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit „Umweltbewusstsein in Deutschland“ https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2294/dokumente/4_ubs_2018_zentrale_befunde.pdf

Wir danken Stefan Dittrich für seinen wertvollen Beitrag zu diesem Artikel.

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